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Wanderschaft Verbannt bis auf 60 Kilometer

Drei junge Gesellen aus dem Norden Deutschlands machten Halt in Salzwedel. Mindestens drei Jahre und einen Tag müssen sie wandern.

Von Annemarie Fehse 30.09.2016, 21:00

Salzwedel l „Das Wandern ist des Müllers Lust“ heißt es in einem bekannten deutschen Volkslied. Auf Wanderschaft sind derzeit auch drei junge Gesellen aus dem Norden Deutschlands, die zwischendurch in Salzwedel Halt machten, um einen heißen Kaffee zu genießen.

Benjamin ist Zimmerer und Holzbildhauer und schon seit zweieinhalb Jahren unterwegs. „Nachdem Handwerker ihre Gesellenprüfung abgelegt haben, gehen sie mindestens drei Jahre und einen Tag auf Wanderschaft“, erzählt der 25-Jährige. Dabei dürften sie nicht näher als 60 Kilometer bis zum Heimatort gehen – die sogenannte Bannmeile.

„Ich bin in der Zeit schon gut herumgekommen: Niederlande, England, Spanien, Rumänien und Deutschland natürlich“, sagt der Geselle aus Schleswig-Holstein. Per Anhalter und zu Fuß sei er immer von A nach B gekommen. „Für die Fortbewegung dürfen wir kein Geld ausgeben“, erklärt Benjamin.Der 19-jährige Nils ist Dachdecker. Als er seine Wanderschaft begann, feierte er in Lübeck seinen Abschied.

„Dort habe ich Benjamin kennengelernt und er hat mich mitgenommen. Jetzt bin ich Aspirant“, sagt er. In der Probezeit also. Er begleitet Benjamin bis zu drei Monate und entscheidet dann, ob er die Wanderschaft fortsetzen möchte. „Wenn ich die `richtige´ Wanderung antrete, bekomme ich die blaue Ehrbarkeit, das Erkennungszeichen des Rolandschachts“, sagt Nils. Benjamin hat diese bereits sichtbar an seiner Arbeitskleidung angebracht und auch der schwarze Hut ist Zeichen des freien Mannes oder der freien Frau.

Julia kommt aus Hannover und ist ebenfalls in Lübeck auf die beiden Mitstreiter gestoßen, wo sie zu dem Zeitpunkt gearbeitet hatte, und hat sich spontan entschlossen, eine Woche in Richtung Süden mitzugehen.

Sie ist schon seit anderthalb Jahren unterwegs. „Wenn wir in einen Ort kommen, fragen wir dort nach Arbeit“, erklärt die Bäckerin. Und das alles ohne Telefone, die seien auf der Wanderschaft tabu. Auch die Nachnamen werden während dieser Zeit abgelegt. „Wir duzen uns alle untereinander und sind uns gegenseitig behilflich“, erzählt die 25-Jährige. Wenn es in einem Betrieb mal nicht klappe mit einer spontanen Arbeitsstelle, unterstützten sie die Handwerker aber in einer anderen Form, zum Beispiel, indem sie Telefonate für die jungen Gesellen tätigen, um ihnen woanders Arbeit zu verschaffen. „Wir dürfen in einem Betrieb maximal drei Monate arbeiten“, erzählt Benjamin.

Natürlich müssen sich die Wandersleute auch versorgen. „Deshalb sind wir so sehr auf die Hilfe anderer angewiesen“, sagt Benjamin weiter. „Wir brauchen jede Nacht einen Schlafplatz, oder mal eine Waschmaschine, Essen und was halt so alles dazugehört.“ Des Öfteren schliefen sie unter freiem Himmel.

Auch wenn es immer weniger Gesellen gebe, die diese lange und anstrengende, aber auch abenteuerliche Reise auf sich nehmen, sind die drei erstaunt, wie hilfsbereit die Menschen sind.

„Bisher sind wir immer vorangekommen und jetzt gehen wir auch wieder weiter. Salzwedel war nur ein Zwischenstopp“, sagt Benjamin und verabschiedet sich. „Wir gehen jetzt erstmal nach Magdeburg“, fügt Nils hinzu. Und Julia versichert: „Ich werde bestimmt noch mal nach Salzwedel kommen, wenn ich auf dem Rückweg bin.“ Denn nach der dreijährigen Wanderung kehren die Gesellen wieder in ihre Heimat zurück.