1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Schönebeck
  6. >
  7. „Bismarck und Moltke“ verschrottet

Rittergut Barby „Bismarck und Moltke“ verschrottet

Das Heimaträtsel zeigte einen Dampfpflug (Lokomobile) des Barbyer Rittergutes in der Feldmark von Barby.

Von Thomas Linßner 02.01.2016, 00:01

Barby l Es ist erstaunlich, wie viele Leser auf das Volksstimme-Foto reagierten. Was offensichtlich daran liegt, dass die riesigen Maschinen die Menschen damals sehr beeindruckten.

Gertrud Nötzel (84) aus Calbe rief als Erste an: Ihr Vater Richard Wiesner arbeitete auf einer Lokomobile, die oft in der Domäne Gottesgnaden unterwegs war. „Ich habe ihm als 12-, 13-Jährige mittags das Essen auf das Feld gebracht“, erzählt Gertrud Nötzel. Die Arbeit der gewaltigen Eisenfahrzeuge sei eine „Sensation“ gewesen.

Ebenso erging es Karl Peter (81) aus Calbe. Er entdeckte die Dampfmaschinen, als er eines Tages auf dem Weg nach Barby war. Sie hätten mit ihrem Kipppflug in der Gemarkung „Vogelshorn“ (wo heute die neue Biogasanlage steht) ihre Arbeit verrichtet.

Ute Gutkäse (65) aus Barby hatte eine Episode parat, die man sich vor 120 Jahren landauf, landab erzählte: Die beiden Lokomobilen des Rittergutes trugen die Namen „Bismarck“ und „Moltke“ nach dem damals populären Reichskanzler und dem preußischem Generalfeldmarschall. Als eines Tages Kaiser Wilhelm II. mal wieder zur Hasenjagd kam, wies Gastgeber Amtsrat von Dietze seine Maschinisten an, mit Hilfe der Lokomobilen einen Feldweg für den Kaiser zu planieren. Dabei soll von Dietze launig gesagt haben: „Majestät, Bismarck und Moltke haben Ihnen den Weg geebnet.“ Ob dieser doppelsinnige Satz wirklich aus dem Mund von Adolph von Dietze (1825 bis 1910) stammt, ist nicht verbürgt. Denn Kaiser Wilhelms Verhältnis zu Bismarck war nicht ohne Spannungen gewesen.

Horst Rodewald (75) aus Schönebeck trug als ehemaliger Ingenieur für Landtechnik ein weiteres Detail bei. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe man versucht, Lokomobilen mit Dieselmotoren zu fertigen. Was sich allerdings nicht durchsetzte, weil Raupenkettenschlepper effektiver arbeiteten. Rodewald berichtet von Schauvorführungen in neuerer Zeit in Blumenberg und Hadmersleben.

„Wir haben die Arbeit der Dampfpflüge ein bisschen neidisch verfolgt, weil wir kleinen Bauern das Feld nur mit Ochsen oder Kühen bearbeiteten“, sagt Dorothea Milimonka (79). Sie lebte als Kind in Tornitz und hielt „respektvollen Abstand“, wenn die Lokomobilen an der Feldscheune in Richtung Barby ihre Arbeit verrichteten.

Karl-Heinz Schneider (79) fuhr von Montag bis Sonnabend mit dem Fahrrad als Lehrling bei jedem Wetter von Groß Rosenburg zum Barbyer Obstbaubetrieb Stede. Was damals noch über die Klein Rosenburger Fähre möglich war. Eines Tages beobachtete er die Lokomobilen am Feldweg an der Großen Wiese. Schneider war so von den dampfenden Ungetümen fasziniert, dass er nicht auf den holprigen Weg achtete, mit dem Vorderrad in eine tiefe Furche fuhr und stürzte. Ein wahrhaft umwerfendes Erlebnis.

Ursula Wendt (81, Calbe) fand in einem Rechnungsbuch ihres Familienbetriebes Gelbgießerei „Wilhelm Wendt“ einen Eintrag von 1944, der für das Barbyer Rittergut gefertigte Ersatzteile nachweist. „Ich sehe noch die sehr tiefen Furchen vor mir. Die Maschinen standen am Feldrand, um nicht den Boden zu verdichten, wie es später mit schweren Traktoren geschah.“

Werner Lohmann (74) erlebte Mitte der 50er Jahre diese Maschinen unweit der Saalemündung in Aktion. Der Schönebecker war Internatsschüler der Oberschule Barby. „Ich sehe noch die sehr tiefen Furchen vor mir. Die Maschinen standen am Feldrand, um nicht den Boden zu verdichten, wie es später mit schweren Traktoren geschah.“

Unser treuer Heimaträtseler Armin Wellnitz (71) konnte auch etwas beisteuern. Er weiß noch heute, wenn Kohle und Wasser für die Dampfmaschinen von Ochsengespannen über den Barbyer Markt zum Acker gefahren wurden.

Auch Klaus-Dieter Nimmich aus Pretzien schreibt in seiner Mail: „Es haben zwei Dampfpflüge in Barby existiert. An jedem Ende des Ackerstückes stand je einer und so wurden sie hin und her gezogen, umgesetzt, bis das gesamte Ackerstück gepflügt war.“

Jürgen Krebs (60) aus Barby konnte sehr detailliert helfen: „Die beiden Lokomobilen waren im Wilhelmsweg am beziehungsweise im Dampfpflugschuppen (da gab es nach der Wende auch mal eine gleichnamige Gaststätte) bis Ende der 60er Jahre abgestellt. „Wenn der Dampfpflug in Richtung Colphus ausrückte, war das auf dem gepflasterten Wilhelmsweg unüberhörbar.“

Wenn der Dampfpflug zu seinen Einsätzen von dort in Richtung Colphus und weiter ausrückte, war das auf dem gepflasterten Wilhelmsweg unüberhörbar. Nach meiner Erinnerung waren die Lokomobilen (oder zumindest die Kessel) bei der R. Wolf AG Magdeburg gebaut worden. Wenn ich mich nicht täusche, trug zumindest eine der Lokomobilen ein solches Herstellerschild.“

An jedem Ende des Ackerstücks befand sich je eine Lokomobile mit einer unter dem Kessel angebrachten Windentrommel. Das Seil wurde von den Trommeln zu Pflug, Grubber, Egge oder Walze geführt, während dieses sich abwechselnd von der einen Maschine zur anderen bewegte. Die Maschine, zu welcher der Pflug hingezogen wurde, war in Betrieb, die andere dagegen ausgelöst. War der Pflug an der arbeitenden Lokomobile angekommen, rückte diese um die doppelte Breite der gezogenen Furchen vor, der gewendete oder gekippte Pflug wurde in die neue Furchenreihe eingesteuert. Nun arbeitete die zweite Lokomobile und zog den Pflug in die Gegenrichtung. Diese Vorgänge wiederholten sich ständig.