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Am Amtsgericht Notwehr nach Messerstecherei

War es Notwehr nach den Messerstichen? Das Verfahren gegen den 35 Jahre alter Angeklagten wird am Amtsgericht Schönebeck eingestellt.

Von Bernd Kaufholz 28.11.2016, 23:01

Schönebeck l Eigentlich hätte Dominik H. den Gerichtssaal als freier Mann verlassen können. Eigentlich. Wäre da nicht die Haftstrafe gewesen, die der 35-Jährige zur Zeit in Volkstedt absitzt: Ein Jahr und sechs Monate wegen Diebstahls diverser Kredit-, Bank- und EC-Karten, ausgesprochen vom Amtsgericht Bamberg – überwiegend in Franken und in solchem Ausmaß, dass Richter Eike Bruns mehr als eine Viertelstunde braucht, um die Fälle aus den Jahren 2011 bis 2015 aufzulisten. Mit dem Plastik-Geld bediente sich H. an Automaten oder kaufte ein. Gesamtschaden: rund 34.000 Euro.

Doch wegen Diebstahls und Betrugs stand H. jetzt nicht vor Gericht. Diesmal ging es um gefährliche Körperverletzung in Schönebeck. Begonnen hatte der Prozess bereits Anfang August dieses Jahres (Volksstimme berichtete). Damals hatten Dominik H. und Torsten S. (44) noch gemeinsam auf der Anklagebank gesessen. In einer Situation, die nicht allzu häufig vorkommt: Beide sowohl als Opfer, als auch als Täter. Das Verfahren gegen S. war allerdings abgetrennt worden, so dass H. dieses Mal „Alleinunterhalter“ war.

Staatsanwalt Frank Baschleben hatte Dominik H. angeklagt, am 12. Juli 2015 in Schönebeck S. gegen 0.30 Uhr vor einem Ladenlokal getreten und geschlagen zu haben. S. hatte ein Schädel-Hirntrauma und Hautabschürfungen davongetragen. Er war bewusstlos ins Krankenhaus gebracht worden.

Allerdings hatte der Zusammengeschlagene zuvor zum Messer gegriffen und H. fünf Mal in Rücken, Bauch, Arm und Oberschenkel gestochen beziehungsweise geschnitten. Der Angeklagte zeigte dem Gericht die Narben. Ausgangspunkt für den Streit sei gewesen, dass Torsten S. die Freundin von H. als „Hure“ beschimpft haben soll.

Rechtsanwalt Thorsten Bornholdt verlas zu Prozessbeginn eine Erklärung seines Mandanten. Darin schilderte er die Situation in der Tatnacht so gut es ging (zwei Stunden nach dem Geschehen wurde bei H. ein Blutalkoholwert von 1,13 Promille gemessen). Er sei mit seiner Freundin Bier holen gegangen. Sie habe draußen gestanden und im Laden habe es bereits einen Streit zwischen dem Inhaber und S. gegeben. S. sei des Geschäfts verwiesen worden. Vor der Tür habe S. dann seine Freundin beschimpft. Er habe sich dazwischen gestellt und S. mit beiden Händen weggeschubst. Dabei sei dieser gefallen, aber wieder aufgestanden und auf ihn zu gekommen. Im selben Moment habe er andere Kunden rufen hören: „Der hat ein Messer!“ Er habe S. mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Dass er selbst blutete, habe er erst mitbekommen, als ihm das seine erschrockene Freundin mitgeteilt habe. Von Faustschlägen und Tritten könne keine Rede sein.

Die 26 Jahre alte Freundin des Angeklagten bestätigte diese Version.

Anders dagegen eine 28 Jahre alte Zeugin, die das Geschehen wenige Meter entfernt aus dem Flurfenster ihrer Wohnung gesehen hatte. Sie sagte aus, dass S. ein Messer in der Hand gehabt habe. Sie hatte jedoch auch gesehen, dass der Angeklagte H. mit dem Fuß auf das Gesicht von S. „gestampft“ habe, der schon auf dem Boden gelegen habe.

Das ebenfalls stark angetrunkene Opfer selbst konnte sich an die Vorgänge der Nacht kaum noch erinnern. Er räumte ein, dass das sein Messer gewesen sei und er es auch dabei gehabt habe, aber ob er zugestochen habe …?“ Erst zwei Tage nach der Tat sei er wieder bei sich gewesen. „Was vorgefallen ist, habe ich halbwegs erst bei der Vernehmung durch die Polizei erfahren. Ich habe kein klares Bild.“

Richter Bruns regte nach acht Zeugenaussagen an, das Verfahren gegen Dominik H. mit Blick auf das Urteil des Amtsgerichts Bamberg nach Paragraph 154 Strafprozessordnung (Teileinstellung bei mehreren Taten) einzustellen. Das Gericht ging davon aus, dass eine „Notwehrlage“ vorgelegen habe. Selbst, wenn der Angreifer schon am Boden lag, musste sich der Angeklagte nicht der Gefahr neuerlicher Angriffe aussetzen. Deshalb sei auch der Tritt aufs Gesicht des Messerstechers von der Notwehr gedeckt. Der zweite Teil der Aufarbeitung des Tatgeschehens folgt Anfang 2017 – mit vertauschten Rollen. Dann sitzt Torsten S. auf der Anklagebank und Dominik H. ist als Opfer der Zeuge.