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Aus dem Gericht Intensivtäterin freigesprochen

Wegen vieler kleiner Bagatelldelikte wurde aus einer 40-jährigen Schönebeckerin eine Intensivtäterin. Sie sieht das als Komplott gegen sich.

Von Bernd Kaufholz 24.02.2017, 23:01

Schönebeck l Für den Prozessbeobachter war der Fall schon nach den ersten Sätzen der Angeklagten klar: Hier sitzt eine kranke Frau. Ein Grenzfall. Die Straftaten der 40-Jährigen sind auf der einen Seite zu gering, um sie in eine Psychiatrie einzuweisen. Andererseits ziehen sie keine juristischen Konsequenzen nach sich, weil die Ex-Berlinerin aufgrund ihrer psychischen Erkrankung, die sie selbst nicht wahr haben will, strafrechtlich nicht verantwortlich ist.

Bettina Gertrud Irmgard K. ist eine sogenannte Intensivstraftäterin. Immer wieder kommt sie mit dem Gesetz in Konflikt. Und immer sind es – jede Tat für sich allein gesehen – Bagatellen. So auch diesmal. Allerdings macht’s die Masse. Diesmal sind es drei Anklagen, die der Magdeburger Staatsanwalt verliest.

So ließ die Schönebeckerin am 10. Januar 2016 bei Norma Lebensmittel für 8,37 Euro mitgehen. Ebenfalls im Januar soll sie aus der Wohnung eines Mannes ein Panasonic-Handy entwendet und aus der Hosentasche eines anderen Mannes eine Brieftasche samt EC-Karte gestohlen haben. Die dritte Anklage wirft K. 18-faches Schwarzfahren zwischen dem 21. Januar und dem 24. Oktober 2015 vor: Von Schönebeck nach Magdeburg und zurück, von Magdeburg nach Berlin und zurück, von Berlin nach Brandenburg. Verlust für die Bahn pro Fall zwischen 2,60 und 29 Euro.

Aber die Schwarzhaarige mit den beringten Fingern streitet alles ab. Was sie hat, ist eine Erklärung. Auf den Punkt gebracht: „Immer, wenn ich das Umgangsrecht für meine Tochter beantrage, werden mir Straftaten vorgeworfen, um mich als Intensivtäterin hinzustellen. Und das schon seit Jahren. Nur, damit ich das Umgangsrecht nicht bekomme.“ Wahrscheinlich werde ihr „gestohlener Personalausweis“ bei Kontrollen im Zug vorgelegt. Auch ihre EC-Karte plus Geheimnummer sei gestohlen worden. Alles sei ein „ganz großer Datenklau“. Die ganze Sache sei ein Komplott gegen sie, „eine gesteuerte Aktion“, bei der „auch die Staatsanwälte mitmachen“.

Besonders die Schwarzfahrten nach Berlin seien absurd. „Was soll ich denn da. Ich kenne doch da keinen mehr.“ Wenn sie gefahren sei, dann mit dem Post-Bus. Und die bestohlenen Herren? „Ich kenne nicht mal die Namen.“

Die Angeklagte gab auch einen kleinen Abriss ihres Lebens. Sie habe erst in Berlin gelebt. Zum Schluss als Obdachlose auf der Straße. In der Zeitung habe sie dann eine Wohnungsanzeige gelesen. So sei sie nach Schönebeck gekommen.

Heike Mittelstedt, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Landeskrankenhaus Bernburg, sagte, dass S. „ein bewegtes Leben hinter sich“ habe. Vor zwei Jahren sei die Angeklagte mit der Polizei in die Psychiatrie gebracht worden. Allerdings ist sich S. völlig sicher, psychisch gesund zu sein. Als die Ärztin die Angeklagte darauf ansprach, fragte diese völlig überrascht: „Haben Sie den Eindruck?“

Die Sachverständige attestierte der Angeklagten, dass deren „Einsichtsfähigkeit nicht gegeben“ sei. Dem schlossen sich Staatsanwalt und Richter an. Die Angeklagte wurde aufgrund des Paragraphen 20 Strafgesetzbuch (Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen) freigesprochen. Für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sei „kein Raum gewesen, weil eine Erheblichkeit der Straftaten nicht vorlag“, so Richter Eike Bruns.