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Calbenser Tradition Glocken aus der Gelbgießerei Wendt

Ursula Wendt macht klar Schiff. Nachdem das Traditionsunternehmen Wilhelm Wendt schloss, trennt sie sich von Erinnerungsstücken.

Von Thomas Linßner 03.01.2016, 15:43

Calbe l „Sehen Sie“, bewegt Ursula Wendt eine kleine Silberglocke hin und her, „die hat Ronald zur Taufe bekommen.“ Damit ist ihr Sohn gemeint, der letzter Firmeninhaber war und früh verstorben ist. Mit ihm endete auch die Geschichte des Traditionsunternehmen, wie es in Calbe einige gab und gibt.

Auf zusammengeschobenen Tischen ihres Hauses an der Scheunenstraße türmen sich bei Ursula Wendt Fotos und Papiere, die über hundert Jahre Firmengeschichte dokumentieren. Daraus ragen die kleinen Glocken hervor, die auf den ersten Blick so gar nicht dorthin passen. Aber nur auf den ersten Blick. Denn Messing und andere Kupferlegierungen sind untrennbar mit der Betriebsgeschichte verbunden.

Am 7. Dezember 1903 meldete Wilhelm Wendt (I.) im Rathaus ein Gelbgießerei-Gewerbe an. Werkstatt-Standort war an der Tuchmacherstraße, unweit des letzten Firmensitzes an der Scheunenstraße, der erst 1911 erworben wurde. Neben dem Gelbgießen kamen sehr bald Dreharbeiten und Kfz-Reparaturen (!) hinzu.

Am 15. Oktober 1937 übernahm der Sohn des Firmengründers den Betrieb, der ebenfalls Wilhelm (II.) hieß. Krieg und Nachkriegsjahre überstand das kleine Unternehmen relativ unbeschadet. Das riesige Kontorbuch notiert fein säuberlich über Jahrzehnte Kunden, Auftragsart und Rechnungssummen. Sie reichen vom Rittergut oder Hafen Barby über die Calbenser Firmen Brückner (Mühle) und Nicolai (Wolldecken) bis zu kleinen Privatkunden.

1973 wurde die Firma von Wilhelm (der dritte dieses Vornamens) weitergeführt. Sie blieb weiter in Privatbesitz, wenn auch mit reduzierter Mitarbeiterzahl, um einer Verstaatlichung zu entgehen. Schwerpunkte waren nun die Dreherei und Reparaturarbeiten, nachdem das Gelbgießen in den 1960er Jahren eingestellt wurde. Wilhelm Wendt hatte sich als Kooperationspartner für volkseigene Betriebe des Schwermaschinenbaus, des Waggonbaus und der Zementindustrie einen sicheren Stand erarbeitet. Er starb 1997. Kurz darauf übernahm Sohn Ronald das Unternehmen.

Aus dieser Zeit stammen auch die Glocken, deren Herkunft unbekannt ist. Sie können als Warnanlage an Türen (wenn man sie öffnete, bimmelte es), auf Schiffen oder großen Uhren Dienst getan haben. Einige haben mit Sicherheit noch nicht das Haus verlassen, da die Patina fehlt. Möglicherweise handelte es sich um Muster, die bei Wilhelm Wendt gegossen wurden.

„Ich habe schon einiges an Unterlagen der Heimatstube gegeben“, deutet Ursula Wendt auf den Tisch. „Die Glocken möchte ich der Kirchengemeinde vermachen. Aber nicht einfach so.“ Die 81-Jährige hat eine Handskizze angefertigt, wie sie sich die Zukunft ihrer Glocken vorstellt. Sie sollten zusammen an einem Gestell aufgehängt werden, damit sie als Ensemble erhalten bleiben und nicht als Einzelstücke „unter die Räder kommen“, wie sie sagt.