Calbes Graffiti Künstlerisch und legal

Junge Leute möchten in Calbe leer stehende Gebäude aufwerten. Mit kunstvollen Graffiti.

Von Thomas Linßner 05.08.2016, 01:01

Calbe l Was Oskar Heinz Werner vor Jahren mit seinen „Calbe Fotos“ begann, setzen jetzt ein paar junge Leute fort, die Anfang 20 sind. Hatte der umtriebige SPD-Stadtrat früher so manches öde Schaufenster mit seinen Fotos geschmückt, ist es jetzt die übernächste Generation, die diesen Ansatz verfolgt. „Wir haben der Stadt vorgeschlagen, in der Innenstadt ein paar Graffiti anzubringen“, erklärt Daniel Wolfram (22) den Ursprung der Aktion. Wenn normalerweise bei Behörden allein bei Nennung des Wortes „Graffiti“ die Schnappatmung einsetzt, war das in diesem Falle anders. Das Amt stimmte zu, der Besitzer des leer stehenden Geschäftshauses an der Loewestraße auch. Konkret hatte den Tipp Dieter Tischmeyer von der Interessengemeinschaft der Gewerbetreibenden gegeben.

Und weil Daniel Wolfram ein paar Kumpels in petto hat, die ähnlich ticken wie er und sich trotz (oder gerade wegen...) ihres jugendlichen Alters mit der Saalestadt identifizieren, wurden Nägel mit Köpfen gemacht. (Daniel ist Mitglied des Jugendforums „Demokratie leben“, wo es Fördermittel für derartige Projekte gibt.)

So kamen Hans Lorenz (23) und Marius Brattke (23) ins Spiel. Ersterer ist handwerklich, letzterer künstlerisch begabt. Marius, dessen Vorname schon ein bisschen nach Kunst klingt, machte eine Skizze, wie er sich die Gestaltung der hässlichen, leeren Fensterhöhlen vorstellte. Es sollten Calbenser Motive sein.

Am Ende standen die Klassiker Bismarckturm, Klein Venedig mit St. Stephani, der Hexenturm und ... natürlich die Bolle fest. Und wurden von den Hütern des öffentlichen Raumes abgenickt.

Nun verziert ein Triptychon, bestehend aus 18 Quadratmeter Spanplatten, die Schaufenster jenes Ladenlokals, das früher „Furz und Feuerstein“ handelte.

Sprayer Marius lehnte sich stilistisch unbewusst ein bisschen an Lyonel Feininger an, dem klare und überhöhte Formen sowie gerade Linien gefielen. Aus den Fenstern der Calbenser Türme und Gebäude blinzelt ein bisschen gelbes Licht, sodass etwas Positives, Augenzwinkerndes davon ausgeht. Auch aus dem Hexenturm, wo es ja zu allen Zeiten nun wirklich finster zuging.

Vielleicht eine Metapher an die Zuversicht.

Marius, Hans und Daniel können sich eine Fortsetzung der Aktion vorstellen. Um die Ecke, im „Handwerkerhof“, schreit eine weiße Wand regelrecht nach Veredelung. Daniel, der gerade studiert, nimmt in diesem Zusammenhang ein großes Wort in den Mund: „Warum können wir in Calbe nicht so was wie die East Side Gallery in Berlin machen!?“ Dabei braucht er gar nicht allzuweit zu gucken, die nächsten mehr oder weniger hässlichen Fenster rufen schon „Hier!“.

Marius Brattke freut sich über die Anerkennung seiner Kunst an so exponierter Stelle in der Saalestadt. Denn an Graffiti klebt oft der Ruch des Illegalen und auch Stümperhaften. Was man in Calbenser Garagenkomplexen und an den omnipräsenten Handschriften getriebener „Fußballfans“ nachvollziehen kann. Als Marius vor einiger Zeit half, für die Wohnungsgenossenschaft eine Müllbox mit der Spraydose zu verzieren, kam, was kommen musste. Eine ältere Dame fragte entrüstet: „Jungs, dürft ihr denn das überhaupt?!“

Der 23-Jährige erinnert sich noch an Zeiten, wo es in Calbe eine „richtig gute Sprayerszene gab“. Die jungen Leute tobten sich an Stellen aus, wo sie niemand störten. So zum Beispiel am Ruinen-Heizhaus in Calbe (West). Dort etablierte sich bereits Anfang der 1990er Jahre eine Szene, in die Marius hineinwuchs und von der er fasziniert war. Er spricht von „Hip Hop Kultur“, wenn er davon redet.

Und heute? Abgesehen von ein paar illegalen Stümpern ist das künstlerische Podium dünne besetzt. „Wäre gut, wenn wir wieder ein paar mehr werden“, sagt er. Der junge Mann würde sich über Mitstreiter freuen, die mehr mit der Dose unterwegs sind und weniger Pokémons mit dem Smartphone jagen.

Kontakt über Facebook „Hans Lorenz“ oder E-Mail: Lorenzhans1993@gmx.de