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Denkmal  Das Ei der deutschen Einheit

Vor zehn Jahren wurde in Calbe das „Ei der deutschen Einheit“ eingeweiht. Geschaffen hat es der Architekt Oskar-Heinz Werner.

Von Thomas Linßner 06.10.2016, 01:01

Calbe l Gerade jetzt im Herbst denkt Oskar-Heinz Werner etwas melancholisch an die Zeit vor zehn Jahren zurück. Denn Anfang Oktober 2006 wurde sein wohl originellstes Werk mit großem Bahnhof eingeweiht: ein aus Grauwacke gemauertes Ei im Fährweg. Und was für eins!

Am Anfang der Denkmalsmeile „Verschönerungsweg“ (mehrere Gedenksteine um 1906) schuf der pensionierte Architekt das „Ei der deutschen Einheit“. Es ist 15 Tonnen schwer, drei Meter hoch, ruht auf einem 1,20 Meter tiefen Fundament und strotzt nur so von Metaphern. „Das Ei symbolisiert Leben. Es hat eine harte Schale und einen weichen Kern. Wie Deutschland“, philosophiert Werner.

Doch damit nicht genug. Die Skulptur aus Natursteinen, die beim Neubau der Magdeburger Straße übrig waren, befindet sich in der Nähe des Till-Eulenspiegel-Denkmals und der Wilhelmsbrücke. Letztere wurde 1945 gesprengt, mit ersterem will Oskar-Heinz Werner an den Schalknarren erinnern, der seine Jugend in Calbe verbracht haben soll.

Apropos Jugend. Ein Lehrer kann sich mit seinen Schülern vor das „Ei“ stellen und locker einen Geschichtsexkurs mache. Daran sind nämlich drei markante deutsche Jahreszahlen angebracht: Am Fundament (was kein Zufall ist) steht 1919, als die Weimarer Republik gegründet wurde. Die Skulptur hat in ihrer Mitte einen lotrechten Schlitz, der die Teilung Deutschlands symbolisiert. An seinem Anfang steht 1945, am oberen Ende 1990. Im Schlitz sind viele Ost- und Westpfennige eingelassen, von denen einige von Pseudo-Numismatikern bereits abgepult wurden. Außerdem ist darin eine Kette erkennbar, die den Zusammenhalt trotz Teilung darstellen will.

Wenn man an einem bestimmten Punkt stehend durch den Schlitz guckt, wird man den Mini-Bismarckturm sehen, der sich im Maßstab 1 zu 10 etwas weiter entfernt befindet. Er will an die erste deutsche Einigung 1871 erinnern.

Das „Ei“ steht im Schatten eines Walnussbaumes. „Er symbolisiert die EU. „Es werden in den Jahren noch viele harte Nüsse auf das Denkmal fallen, die es zu knacken gilt“, orakelte Oskar-Heinz Werner bereits zur Einweihung 2006. (Wie recht er doch hatte, Brexit lässt grüßen.)

Auch den (noch) holperigen Zustand des Fährweges, blühende Gärten und wüste Anlagen ebenda bezieht der 79-Jährige in sein geballtes Gleichnisse-Programm ein. Am „Ei der Einheit“ hatten damals auch die Helfer Horst Kober, Uwe Schmelzer und Daniel Fahrholz tatkräftigen Anteil.

Oskar-Heinz Werner freut sich immer wieder über Saaleradwanderer, die vom rechten Weg abkommen, sich zum „Ei“ verirren und von dessen Dasein in der Welt künden. Was allerdings immer noch fehlt, ist ein werbewirksamer Hinweis an exponierter Stelle. 15 Tonnen deutsches Ei, wer hat das schließlich schon!

Wer ein bisschen was von Bau und Statik versteht, wird vor dem Erschaffer den Hut lüften. Wie es einst Kolumbus gelang, ein Ei auf die Spitze zu stellen, musste O.-H. Werner ganz schön rechnen und Stahl armieren, um der tonnenschweren Steinknolle Halt zu geben, damit sie nicht bei Vorbeifahrt eines 30-Tonners den Fährweg herunterkullert, der gerade hochwassersaniert wird. Respekt!

Um noch einmal auf den „großen Bahnhof“ zurückzukommen. 2006, als Bollenköniginnenfest gefeiert wurde, gab sich auch der damalige Bauminister Karl-Heinz Daehre die Ehre. Dem wurde, wie auch einem guten Dutzend „Königinnen“, die Ehre zu Teil, seine Hände in den frischen Beton am Fuße des Eiersockels zu drücken. Und er hatte seinen Spaß daran. Sage noch einer, dass sich Politiker nicht gerne die Hände schmutzig machen ...