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Fischerei Über Jahrhunderte vom Lachs profitiert

Im1439 gründete sich die Fischereibruderschaft Calbe, die sich alleiniges Fischereirecht an Saaleabschnitt sicherte.

Von Andreas Pinkert 23.03.2017, 17:38

Calbe l Der Lachs (Salmo salar) war einst nicht nur im Elbe-Saale-Winkel auf dem Küchentisch populär, sondern in ganz Europa einer der wichtigsten Wirtschaftsfische. Auf dem Weg vom Meer zu ihren Laichplätzen in den Oberläufen von Flüssen holten sie Fischer aus dem Wasser. Die Wanderung geschah in mehreren großen Schüben, den sogenannten Zügen. Die Lachse zogen dabei nicht zu beliebigen Laichgründen, sondern kehrten genau zu dem Ort zurück, an dem sie geschlüpft waren.

Der einstige Fischreichtum der Saale sei aus heutiger Sicht kaum mehr zu fassen, schreibt Calbes Stadthistoriker Dieter Horst Steinmetz. „Außer den Welsen, Neunaugen, Brassen, Barschen, Gründlingen und Seebarschen waren es vor allem die Lachse und Störe, die den Ruhm der Saale-Fischerei begründeten.“ Das Umweltministerium von Sachsen-Anhalt bestätigt in einer Fachpublikation: „Die wichtigsten Fangplätze für den aufsteigenden Lachs befanden sich am Anfang des 20. Jahrhunderts im Land Sachsen-Anhalt fast ausschließlich unterhalb einiger Saalewehre (vor allem bei Calbe und Bernburg).“

Schon früh begann eine kleine Gruppe der Saalestadt, über zahlreiche Generation hinweg diesen Fischreichtum für sich zu nutzen. Demnach erschienen am 20. März 1439 im Stiftskloster „Gottes Gnade“ sechs Saalefischer aus der Calbenser Südvorstand. Sie setzten ihr Ziel in die Tat um und gründeten eine anfangs religiöse Interessengemeinschaft - die „Brüderschaft Sancti Nicolai des Armen Heiligen Geistes“, die einen Tag später vom Magdeburger Erzbischof auch unterzeichnet wurde.

Die Fischer selbst wollten neben dem alleinigen Recht zum Fischen auf der Saale durch die Gründung einer zunftähnlichen Institution wohltätig und gegen Armut wirken. Fischerei war damals ein einträgliches Geschäft. Fisch galt als wichtiges Grundnahrungsmittel vor allem während der langen Fastenzeit. Clever und hartnäckig hielten die Fischermeisterfamilien - lange Zeit waren es ausschließlich sechs - ihre Bruderschaft über die Jahrhunderte und gegenüber allen Landesherrschern aufrecht. Seit dem 16. Jahrhundert sei von den „Garnherren“ die Rede, womit wohl die sechs Fischermeister gemeint waren, führt Steinmetz weiter aus.

Immer wieder gab es Streit um die Lachse und Störe, die in der Saale gefangen wurden. In Calbes Lachskrieg von 1702 bis 1705 forderten die Saalestädter erfolgreich, den Lachs zuerst in Calbe zum Verkauf anzubieten, bevor er weiter verkauft werden durfte, teilweise bis nach Bremen.

1858 endete in Calbe und in Preußen die Hörigkeit der Fischer und damit ihr Erbpacht-Verhältnis. So war es der Kaiser selbst, der den Fischern ihre jahrhundertealten Privilegien, die ihnen eine Monopolstellung einbrachte, absprach. Begründung: Die Fischereibruderschaft sei eine reine Erwerbsgenossenschaft, habe nichts Gemeinnütziges bewirkt und in ihrer Geschichte zu wenig Steuern bezahlt.

Obwohl sie nun juristisch gesehen freie „Handwerker“ mit einem freien Besitz als Eigentum waren, so Dieter Steinmetz, blieben die Fischer bei ihrer alten Form der Sechser-Bruderschaft. 1945 nach Kriegsende wurde nach mehr als einem halben Jahrtausend des Bestehens ein unrühmlicher Schlusspunkt unter diese Institution gesetzt, die aufgelöst und geschlossen wurde. Ein wesentlicher Teil der Calbenser Geschichte und Tradition ging damit zu Ende.

Ein Hauptgrund lag im Verschwinden der Fische, sowohl quantitativ als auch qualitativ (historische Quellen gehen von 39 bis 44 unterschiedlichen Fischarten in der Saale aus). „Nach dem Trockenjahr 1904, in welchem noch relativ hohe Lachs-Erträge eingebracht wurden, gingen die Fänge sehr stark zurück. Der bis dahin sehr einträgliche Fang am Saalewehr Calbe sank von 1906 bis 1907 von über 400 Stück pro Jahr auf nur noch 10 Stück. Nach 1912 hörte der Lachsfang in der deutschen Elbe und ihren Nebenflüssen fast ganz auf“, heißt es vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt Sachsen-Anhalt. Neben dem Bau von für die Lachswanderung hinderlichen Wehren verschlechterte sich auch die Wasserqualität der Saale zusehends. Anfangs wollte man sich noch gegen diese Entwicklung stemmen. Der Fischereiverein des Herzogtums Anhalt und der Provinz Sachsen unterhielt in Calbe ein Bruthaus, in dem jährlich 300 000 bis 400 000 Lachsbrütlinge erzeugt wurden. Doch es waren vor allem die Abwässer der Zuckerfabriken an der unteren Saale, die es schließlich nicht einmal mehr ermöglichten, die vor dem Saalewehr gefangenen Lachse für die künstliche Erbrütung zu hältern.

Heute existiert die Fischereibruderschaft als eine traditionsverbundene Erbengemeinschaft weiter, die an die stolze Tradition ihrer Vorfahren erinnert. „Fünf Familien zählen aktuell dazu, die Fischereirechte sind verpachtet, sagt Steffen Held, der in Zusammenarbeit mit dem Heimatverein über die Jahre zahlreiche historische Dokumente über seine Vorfahren der Fischereidynastie Kegel zusammentrug. Er hofft inständig, dass eines Tages die Lachse wieder die Saale hinauf klettern.

Die Hoffnung ist nicht unbegründet. Naturschützer und Angler versuchen verstärkt, Wanderfische wie den Lachs in der Bode, die in die Saale mündet, anzusiedeln. Zaghafte erste Erfolge gibt es bereits. Zumindest ein großes Hindernis für Wanderfische an der Calbenser Saale, das Wehr, wurde 2009 mit dem Bau einer Fischtreppe entschärft.