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Gerichtsverhandlung Täter als Opfer, Opfer als Täter?

Zwei separate Fälle gefährlicher Körperverletzung in Schönebeck mit je einem Angeklagten hat Strafrichter Eike Bruns verhandelt.

Von Bernd Kaufholz 03.08.2016, 23:01

Schönebeck l Das Hauptverfahren gegen Torsten S. (44) und Dominik H. (34) entpuppte sich gestern als harte Nuss für alle Prozessbeteiligten. Die Geschehnisse am 12. Juli des vergangenen Jahres liegen nach den ersten, wenig erhellenden Zeugenaussagen in einer undurchsichtigen Suppe - dicker, als der berüchtigte Londoner Nebel. Doch das soll sich im Herbst (Termin steht noch nicht fest) ändern, hofft das Gericht.

Nun zum Fall selbst, bei dem es zwei Handelnde gibt und möglicherweise jeder der beiden sowohl Täter als auch Opfer ist.

Am 12. Juli 2015, kurz nach Mitternacht hielten sich einige Männer an einer Spätverkaufsstelle in Schönebeck auf. Unter ihnen auch Torsten S. und Dominik H.

Nach Meinung der Staatsanwaltschaft Magdeburg kam es zwischen den stark Alkoholisierten erst zu einer verbalen Auseinandersetzung und anschließend zu Tätlichkeiten. Streitpunkt soll gewesen sein, dass Torsten S. die Freundin von Dominik H. als „Hure“ beschimpft hat. Daraufhin habe es eine Rangelei gegeben. S. habe zum Messer gegriffen und H. damit mehrere Schnittwunden zugefügt - unter anderem im Nacken, am linken Arm sowie am Körper. Sollte sich das bestätigen: Ganz klar gefährliche Körperverletzung. S: Täter, H: Opfer.

Allerdings war die Sache vorm Spät-Kiosk damit noch nicht beendet. Dominik H. war nicht so schwer verletzt, als dass er sich nicht wehren konnte. Laut Staatsanwaltschaft sei H. zum Gegenangriff übergegangen und habe nun seinerseits Front gegen den Messerstecher gemacht. Faustschläge bis Torsten S. am Boden lag. Nachdem er sich hochgerappelt hatte, erneute Schläge, danach Tritte mit dem beschuhten Fuß bis zur tiefen Bewusstlosigkeit des Opfers. Das Resultat: Blutergüsse im Gesicht, am Schädel, akute Atembeschwerden. H. musste mit dem Krankenwagen in die Klinik gebracht werden.

Somit ebenfalls gefährliche Körperverletzung (eventuell überzogene Notwehr). H: Täter, S: Opfer.

Als Erster wurde gestern Dominik H. in den Zeugenstand gerufen - in Handschellen. Er verbüßt gegenwärtig in Volk-stedt unter anderem wegen Diebstahls eine Haftstrafe von zweieinhalb Jahren.

Opfer H. lehnte es jedoch in Absprache mit seinem Strafverteidiger ab, sich als Zeuge zum Geschehen zu äußern. „Ich stehe um 14.30 Uhr hier als Täter vor Gericht. Ich sage nichts.“ Und als selbst die Staatsanwältin meinte: „Der Zeuge kann nicht abschätzen, welche Aussagen ihm mit Blick auf das anschließende Hauptverfahren, in dem er angeklagt ist, schaden“, ließ Richter Bruns protokollieren: „Der Zeuge macht nach Paragraph 55 Strafprozessordnung von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.“ Somit fiel der einzige direkte Tatzeuge vorerst aus.

Auch die übrigen Zeugen konnten das Geschehen nicht erhellen. Der Rettungsassistent kam erst, als der letzte Akt des Dramas bereits vorbei war und nur noch der bewusstlose S. auf der Straße lag. Er habe zuerst das Messer sicher gestellt, das auf einer Fensterbank gelegen habe und sich dann um den Verletzten gekümmert. Dabei sei er von den Umstehenden beschimpft worden, weil er sich nicht um den ebenfalls verletzten Hund eines Kiosk-Trinkers gekümmert habe.

Ein 21-Jähriger, der sich betrunken auf dem Nachhauseweg befand, hatte Gedächtnisschwund: „Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ein Hund verletzt wurde.“

Ein weiterer Zeuge - der 32 Jahre alte Hundebesitzer - wusste nur noch, dass sein Hund geblutet habe und dass das Tier draußen vor dem Kiosk „gequiekt“ habe. Von Schlägen und Messerstichen habe er nichts mitbekommen.

Ebenfalls an Anamnese litt ein 48-Jähriger, der direkt über der Spätverkaufsstelle wohnte. „Wer was gemacht hat, weiß ich nicht“, sagte der Mann, der vor einem Jahr die Polizei alarmiert hatte.

Auch, als ihm Rechtsanwalt Ralf Beyer die telefonische Aussage bei der Polizei vom 12. Juli 2015 vorlas, wurde seine Erinnerung nicht klarer. Damals hatte er detailliert von Tritten gegen Kopf und Oberkörper gesprochen sowie von Schlägen. Er habe damals um „Vertraulichkeit“ gebeten. Heute wisse er nichts mehr - „womöglich der Alkohol“.

Das Aussageverhalten brachte die Staatsanwältin auf die Palme. Sie erinnerte den Zeugen mit scharfen Worten an seine Wahrheitspflicht und drohte mit zwei Monaten Haft. Allerdings vergeblich.

Richter Bruns blieb letztlich nichts anderes übrig, als beide Hauptverfahren auszusetzen und weitere Zeugen zu laden. Er bezeichnete den bisherigen Prozess als „den reinen Albtraum - auch für die Staatsanwaltschaft“. Ob weitere Zeugen mehr Licht in das Geschehen bringen werden - da befielen ihn allerdings mehr als leichte Zweifel.