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geschichte Kettners Grabstein ist Anti-Kriegsdenkmal

Ein Grabstein auf dem Friedhof der 230-Einwohnergemeinde Wespen ist ein authentischeres Denkmal gegen den Krieg, als so manches andere.

Von Thomas Linßner 30.05.2017, 03:09

Wespen l In den vergangenen Tagen rieben sich Besucher des Friedhofs verwundert die Augen, falls sie das Detail auf Kettners Grabstein bemerkten.

Ein gelber Klebezettel fordert die Hinterbliebenen auf, wegen nachfolgender Gründe mit der Friedhofsverwaltung Kontakt aufzunehmen: Ablauf des Nutzungs- und Ruherechtes sowie der Grabpflege.

Die Nachfrage bei der Stadt ergab, dass man diese Zettel generell an abgelaufenen Grabstellen befestige, damit die Angehörigen ihrer Pflicht nachkommen.

Doch Kettners Grabstein ist ein wichtiges Zeitzeugnis der Regionalgeschichte. Auf Volksstimme-Nachfrage versicherte Friedhofsverantwortliche Ellen Williges: Der Stein bleibt stehen. Man habe um die Bedeutung nicht gewusst. Bürgermeister Torsten Reinharz schrieb daraufhin alle Ortsbürgermeister an, geschichtsträchtige Grabsteine aufzulisten. „Wir kennen in den Ortsteilen nicht jedes Detail“, so der Bürgermeister.

Die Geschichte um dieses Grab ist tragisch: Eine Stunde nach Mitternacht vom 12. auf den 13. August 1941 hörten einige Bewohner ein einzelnes Flugzeug am Himmel. Das Dröhnen wurde schwächer, dann wieder stärker. Ein Zeichen dafür, dass der Bomber zurück kam. Nach Aussage des damaligen Bürgermeisters flog das unbekannte Flugzeug nicht höher als 500 Meter. Eine Ungeheuerlichkeit gegenüber dem an allen Fronten siegenden Deutschland …

Um 1.05 Uhr wurde Bomben­alarm ausgelöst, schon drei Minuten später fielen zwei Leuchtbomben. Wer sich in der Materie auskannte, wusste sofort, dass es noch wesentlich schlimmer kommen sollte. Die Leuchtbomben dienten der Markierung für einen noch schwereren Abwurf. Der erfolgte um 1.08 Uhr mit einem ohrenbetäubenden Knall. Der britische Bomber hatte eine sogenannte Luftmine über Wespen ausgeklinkt, die mit ihrer ungeheuren Sprengkraft ein einstöckiges Haus mit Scheune und Stallungen in der Nähe der Kirche völlig von der Bildfläche fegte. An seiner Stelle befand sich ein Bombentrichter von zwei Metern Tiefe und sechs Metern Durchmesser.

Der ungeheure Luftdruck zerstörte im Umkreis von 200 Metern sämtliche Gebäude. Rund 80 Prozent aller Wespener Hausdächer waren mehr oder weniger abgedeckt, ganz zu schweigen von den Fensterscheiben. Letztendlich bezifferte man den Totalschaden mit acht Wohn- und acht Stallgebäuden.

Wespen war quasi über Nacht zu trauriger Berühmtheit und zum Inbegriff britischer Zerstörungskraft durch Bomber geworden. Am 2. September erfolgte dann ein Luftangriff auf die Reichshauptstadt Berlin. Es ist möglich, dass der Wespener „Test“ im Vorfeld eine Rolle spielte.

Bertha und Wilhelm Kettner waren sofort tot. Deren zehnjährige Enkeltochter Ursula aus Berlin überlebte das Unglück wie durch ein Wunder mit einem Oberschenkelbruch. Das Mädchen war zusammen mit dem Sofa, auf dem es schlief, in einen Baum geschleudert worden. 

Wer ganz genau hinsieht, erkennt auf dem eleganten Grabstein aus Muschelkalk den Satz: „Auch sie waren ein Opfer Groß Deutschlands“. Die Namen, Geburts- und Sterbedaten sind darüber erhaben in Kupferlettern dargestellt. Aber warum ordnete man die Schriften nicht in „einem Guss“ an, sondern verwendete zwei Verfahren?

Deswegen streiten sich historisch interessierte Betrachter: Ist der Terminus „Opfer Groß Deutschlands“ ein Relikt aus der Nazi-Zeit oder wurde er später zur Mahnung eingebracht? Gegen letzteres spricht jedoch die Wahl dieser Worte. Und warum sollte man nach dem Krieg ausgerechnet in die Privatsphäre eines Grabsteins eingreifen?! Gibt es Zeitzeugen, die diese Frage beantworten können? (03928) 262 27.