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Heimatgeschichte Warnte ein Junge die Amerikaner?

Vor 72 Jahren hat die Wehrmacht die Barbyer Elbbrücke gesprengt. Der „Brückenkopf Barby“ ging in die Geschichte ein.

Von Thomas Linßner 12.04.2017, 01:01

Barby l Im April 1945 hatte eine deutsche Wehrmachtseinheit den Befehl erhalten, die Stadt gegen die vorrückenden Amerikaner zu verteidigen. Es gab Verluste auf beiden Seiten, was noch heute auf dem Barbyer Friedhof an einem Gräberfeld schlichter Holzkreuze nachzuvollziehen ist.

1998 hatte sich Horst Reinhold auf die Spurensuche begeben, der als 17-Jähriger in den Apriltagen des Jahres 1945 in Barby dabei war. Der Hamburger traf sich mit dem Zeitzeugen und Buchautor Peter Wittig (Dresden) und dem Calbenser Heinz Ulrich vor Ort. Letzterer, vor 80 Jahren in Barby geboren, diente als Kontaktmann und Kenner des Terrains. (Ulrich verarbeitete 2003 Reinholds Erinnerungen u.a. in seinem Buch „Kriegschronik Barby/Elbe“.)

Horst Reinholds Barby-Interesse hatte einen Grund: Im Auftrag des ehemaligen US-Soldaten Paul Willis forschte er nach einem Barbyer, der als Kind die Amerikaner gewarnt haben soll. Reinhold war zuvor bei einem Traditionstreffen in Indianapolis (USA) zu Gast gewesen, wo er auf Paul Willis traf.

Zum Sachverhalt: Willis gehörte zur 329. US-Infanteriedivision, die Barby am 12. und 13. April einnahm und als erste Einheit über die Elbe setzte. In einem Haus am Bahnhofsplatz (heute befindet sich dort ein Gartenbaubetrieb) richteten die Amerikaner ihren Gefechtsstands ein. Am Abend kam von einem der benachbarten Häuser ein kleiner Junge gelaufen (Willis schätzte ihn auf zehn bis zwölf Jahre) und versuchte den Besatzern in deutsch-englischem Kauderwelsch etwas mitzuteilen, indem er aufgeregt in den Himmel zeigte und dazu „Bum-Bum“ sagte. Wenig später versank ein Teil des Hauses durch den Abwurf einer deutschen Fliegerbombe in Schutt und Asche. Es gab Tote und Verwundete.

Paul Willis beschäftigte dieses Erlebnis bis ins hohe Alter. Wer war der Junge, der mehr wusste, als die kampf- erfahrenen Soldaten? Und wieso warnte er den Feind, der durch jahrelange deutsche Propaganda zum allzeit kaugummi- fressenden, ehrlosen Yankee herabgewürdigt worden war? Das Kind, das offensichtlich in der Nähe der besetzten Villa im Bahnhofsviertel wohnte, müsste heute über 80 Jahre alt sein.

Horst Reinhold wurde noch kurz vor Toresschluss als Jugendlicher zur Hakenkreuzfahne befohlen.

Viele in dem Alter waren selbstmörderisch fanatisch. Kindheit und Jugend im Dritten Reich hatten sie geformt. Bei Reinhold war das anders. Der erkannte sehr bald die ausweglose Situation. Im Osten hatten die Russen die Oder überschritten, an der Elbe standen die Amerikaner. Am 2. April wurde die „Infanteriedivision Potsdam“ General Wencks 12. Armee unterstellt. Sie sollte die Festung Harz verteidigen. Auf dem Weg dorthin blieb der Eisenbahnzug in Barby stehen. Das war am 11. April. Reinhold 1998: „Am späten Vormittag schwebte über der Stadt ein unheimliches Sirenengeheul. Uns wurde befohlen, in Barby einen Brückenkopf zu bilden.“

Die Amerikaner wurden am 12. April bereits nahe Gnadau gesichtet. Reinholds Bataillon grub sich in und um Barby ein. Er selbst landete auf dem Hof des von Dietzeschen Rittergutes (heute Reha-Klinik). „Wir haben geschanzt und geschanzt, um uns Deckungen zu bauen“, erinnerte sich der Hamburger. Vom Hof des Rittergutes wurden die anrückenden Amerikaner mit Granatwerfern beschossen. Die US-Soldaten bekamen die Lage der deutschen Stellung daraufhin schnell spitz und erwiderten das Feuer.

Dem 17-jährigen Soldaten wurde am Abend erlaubt, sich in die Gutsscheune schlafen zu legen. Gegen 19.50 Uhr gab es eine gewaltige Detonation, die anders klang, als das bissige Infanterie- und Artilleriefeuer. Der Mittelpfeiler der Elbbrücke war von der Wehrmacht gesprengt worden.

Horst Reinhold wurde durch einen Granatsplitter geweckt. Er hatte ihn hinter dem Ohr getroffen. Leicht verletzt aber blutend stürmte er aus der Scheune. Von seiner Einheit war keine Spur zu sehen. Man hatte ihn, während er schlief, im Eifer des Rückzugsgefechtes vergessen. „In einem Keller des Gutes suchte ich Zuflucht. Dort hielten sich viele Frauen und Kinder auf. Die Frauen sagten: ‘Wenn du hier rein willst, lass gefälligst deine Maschinenpistole draußen’“, erinnerte sich Reinhold noch deutlich. Nachdem er die Waffe in die Kleine Elbe unterhalb des „Prinzeßchen“ geworfen hatte, dauerte es nicht lange, und eine US-Patrouille nahm ihn fest. Es folgte eine dreimonatige Kriegsgefangenschaft.

Wieder nach Hause entlassen, holte ihn in der Buchdruckerei seines Vaters die Kriegsvergangenheit wieder ein. Ausgerechnet das 329. US-Infanterieregiment hatte dort seine Geschichte drucken lassen. Die Kämpfe um Barby kamen darin ebenfalls vor. Horst Reinhold konnte die großen Zusammenhänge nachlesen, von denen er ein kleiner Teil gewesen war.