Johannis in Pömmelte Glocken werden montiert

Die beiden neuen Bronzeglocken wurden in die „Glockenstube“ des Johanniskirchturms in Pömmelte bei Schönebeck gehoben.

Von Thomas Linßner 21.02.2017, 18:30

Pömmelte l Es gibt komfortablere Arbeitsplätze als eine enge Glockenstube, durch die der Wind pfeift. Die thüringer Monteure Silvio Beck und Frank Kupitz mussten genau gucken, wo sie die Traverse für den Aufzug zusammen bauen. Es galt, die Elektrowinde in der Fensteröffnung maximal hoch zu hängen, um die Glocken halbwegs problemlos herein bugsieren zu können.

Das Hochziehen vom Fuß des Kirchturms bis zur Fensteröffnung funktionierte relativ unproblematisch. Anspruchsvoller war es dann, die Bronzen mit einem Kettenzug über zwei Meter schräg in die Glockenstube hereinzuziehen. Dass es funktionieren musste, beweist die Tatsache, dass es unsere Vorfahren vor 146 Jahren ja auch geschafft hatten. Und zwar ohne Elektroseilzüge und leichte Baurüstungen.

Bevor die Glocken 14 Meter in die Höhe schwebten, versammelten sich einige Pömmelter für ein Gruppenfoto. „Stellt euch hin, das ist die letzte Gelegenheit“, sagte Ortsbürgermeister Thomas Warnecke, der das Geschehen mit dem Fotoapparat festhielt und extra einen Tag Urlaub genommen hatte.

Unter den Schaulustigen war Walter Nesemann, der unweit der Kirche wohnt. „Ich kann mich noch daran erinnern, wie die Glocke 1944 vom Turm geworfen wurde“, sinnierte der 83-Jährige. Damals habe es mehr Zuschauer gegeben als heute. Trotz dieser barbarischen Tat sei man stolz gewesen, dass auch Pömmelte seinen Teil für den „Endsieg“ beitragen würde. „Wir waren ja alle ziemlich verblendet“, so Nesemann. Bronze wurde, wie bereits im Ersten Weltkrieg, für die Granatenproduktion gebraucht. Der Pömmelter Glockenwurf war für Walter Nesemann aber nicht die einzige Begegnung mit der St.-Johannis-Kirche. Er ging in jenem Gebäude zur Schule, in dem heute der Kindergarten untergebracht ist: „Hauptlehrer Schmidt hat uns Jungs oft auf den Turm geschickt, wo wir die Glocken mit der Hand läuten mussten.“

Für Pfarrer Björn Teichert ist die Montage der beiden neuen Glocken eine Premiere in seiner Dienstzeit. Er war in Rumänien und den USA seelsorgerisch tätig, aber so eine Aktion erlebe er zum ersten Mal. „In den USA sowieso nicht, da kommt der Glockenklang überwiegend aus Lautsprechern vom Turm“, so Teichert. Wie er sagt, soll das Doppelgeläut am Johannistag (24. Juni) offiziell seiner Bestimmung übergeben werden.

Wesentlichen Anteil an der Reaktivierung alter Klangverhältnisse hat der Pömmelter Dieter Kohle. Der ehemalige Ordnungsamtsleiter, der seit 2013 im (Un-) Ruhestand ist, stellte vor Jahren die provokante Frage: „Verstummt die Kirchenglocke in Pömmelte?“ Als Vorsitzender des Gemeindekirchenrates hatte er bei diesem Satz die Aussage des Glockensachverständigen Christoph Schulz im Hinterkopf. Der hatte folgendes festgestellt: Die alte Eisenhartgussglocke könne jederzeit zerrosten, aber auch noch eine Generation halten. Daraufhin wurde ein „Glockenkonto“ eingerichtet, um den Ersatz finanzieren zu können. Was letztendlich geschah. Im vergangenen Herbst wurden die Bronzen im Beisein einiger Pömmelte in Lauchhammer gegossen.

Die Geschichte des alten Geläuts ist eine typische deutsche: Im Mai 1871 wurde die Johanniskirche auf den Grundmauern einer Vorgängerkirche aus dem 16. Jahrhundert errichtet. Nach Einweihung des neuen Gotteshauses läuteten zwei Bronzeglocken über Pömmelte, dessen Einwohnerzahl sich durch den Braunkohlebergbau ständig vergrößerte. Das klangvolle Geläut war allerdings nur 46 Jahre lang zu hören: 1917 wurde die größere der beiden Bronzen abgehängt und nach Barby abgeliefert. Um den Bedarf an verschiedenen Metallen zu decken, gingen die verantwortlichen Militärbehörden dazu über, Gebrauchsgegenstände aus den benötigten Materialien zu beschlagnahmen. So mussten im Juni 1917 auch in Pömmelte Buntmetalle von der Bevölkerung abgegeben werden. Jede Kirchengemeinde durfte nur die jeweils kleinste Glocke behalten.

Bis 1922 schwang nur eine Bronze im Inneren des Johannisturmes. Wie der ehemalige Lehrer und Schulvorsteher Hermann Schmidt 1935 berichtete, wurden nach dem Krieg rund 42 000 Reichsmark zur Beschaffung einer neuen Glocke aufgebracht. (Es herrschte Inflation, deshalb die große Summe.) Weil das Geld nicht ausreichte, organisierten die Pömmelter eine Roggensammlung, die 6000 Reichsmark erbrachte. Bronze konnte man sich jedoch nicht leisten. „Die von der Firma Schilling und Lattermann-Apolda gelieferte Eisenhartgussglocke wurde am 23. Juli 1922 unter reger Beteiligung des ganzen Dorfes feierlich eingeweiht“, schrieb Schmidt.

Fortan schwang in St. Johannis wieder ein Zweiergeläut, wenn auch die Eisenhartgussglocke klanglich nur ein Ersatz sein konnte. Im Laufe des Zweiten Weltkriegs ging die verbliebene kleine Bronzeglocke den selben Weg wie ihre große Schwester 1917. Es war jene, deren Absturz Walter Nesemann mit erlebte. Die neuen Glocken wiegen 450 und 270 Kilogramm. Die Gesamtkosten für Guss, Montage und Gestaltung betragen rund 50 000 Euro.