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Langzeitpraktikum Das „Fräulein“ vom Rathaus

Julia Borrmann möchte in den Verwaltungsdienst. Dafür hat sie ein zehnmonatiges Praktikum im Calbenser Rathaus absolviert.

Von Andreas Pinkert 08.07.2016, 01:01

Calbe l Nein, zur „Generation Praktikum“ gehört Julia Borrmann keineswegs. Diese seit 2005 immer wieder zitierte Schlagzeile einer großen deutschen Wochenzeitung symbolisiert das dumpfe Lebensgefühl einer jungen Generation, die unbezahlte Tätigkeiten in ungesicherten beruflichen Verhältnissen nachgeht.

Oder anders ausgedrückt: Fertig Ausgebildete, die sich von Praktikum zu Praktikum hangeln.

Dieser Verdacht kommt bei Julia Borrmann von Anfang an nicht auf. Und das, obwohl sie seit Anfang Oktober vergangenen Jahres in der Stadtverwaltung tätig, aber dort nicht angestellt ist.

„Ja klar, ich bin eine Langzeitpraktikantin“, gibt die 17-Jährige gern zu. Mit Blick in ihre berufliche Zukunft sei dieser Schritt die richtige Entscheidung gewesen, sagt sie.

Nach ihrem guten Realschulabschluss an der Barbyer Sekundarschule verlief der Start in die Ausbildung etwas holprig. Eine zuvor sichere Ausbildungsstelle als Verwaltungsfachangestellte brach plötzlich weg. Ein Gang vor Gericht verlief daraufhin erfolglos.

An ihrem Berufswunsch hielt Julia Borrmann dennoch unbeirrt fest. Doch was ist für eine junge Frau das Reizvolle am Verwaltungswesen? Haftet ihm nicht das Bild vom allzeit knickenden, lochenden und abheftenden Beamten an? „Meine ganze Familie arbeitet im öffentlichen Dienst“, sagt die Barbyerin. Ihre Schwester Nancy Götze (27) gehört nach erfolgreicher Ausbildung in Calbe der Stadtverwaltung an. „Daher weiß ich, dass es ein verantwortungsvoller, aber auch sehr abwechslungsreicher Beruf ist“, sagt Julia Borrmann, die auch während ihres Schulpraktikums in diesen Bereich hineinschnupperte.

Im vergangenen Jahr war es nach dem Aus in der ersten Runde für eine erneute Bewerbung zu spät. „Ein Jahr warten oder irgendetwas anderes zur Überbrückung machen wollte ich nicht“, sagt die 17-Jährige. So war es ihre Schwester, über die eine Lösung nahte.

Bürgermeister Sven Hause als ihr Dienstherr bemühte als einstiger Jobcenter-Bereichsleiter einen Passus im dritten Sozialgesetzbuch. Darin vermerkt: die betriebliche Einstiegsqualifizierung, durch die Grundlagen für den Erwerb beruflicher Kenntnisse und Handlungsfähigkeit für einen anerkannten Ausbildungsberuf vermittelt werden sollen. Als monatliche Vergütung gibt es 216 Euro.

„Bei der zuständigen Stelle bekamen wir bei der Beantragung gesagt, dass es in Sachsen-Anhalt so einen Fall im Bereich der Kommunalverwaltung noch nicht gegeben habe“, sagt Hause und ergänzt: „Wenig später gab es den ersten Fall.“

„Ich habe viel gelernt“, blickt Julia Borrmann kurz vor Ende ihrer Qualifizierung zurück. Überwiegend war sie bei der stellvertretenden Amtsleiterin Anja Wagus in der Kämmerei eingesetzt. Dazu habe sie bei der Unternehmerbefragung der Stadt mitgewirkt und telefonisch Daten aktualisiert, Plakate für Feste und Veranstaltungen verteilt, Sitzungen im Bürgersaal mit vorbereitet oder die Bilddokumentation für Berichte übernommen.

Oft assistierte sie dem Bürgermeister im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit bei Vor-Ort-Terminen und Gratulationen. „Fräulein Borrmann, bitte denken Sie an die Kamera und Unterlagen“, habe es dann oft geheißen. „Dass ich beim Rolandfest auf dem Laufsteg einmal als Modell einer Modenschau dabei sein werde, hätte ich anfangs aber nicht gedacht“, lacht die Barbyerin.

Ab 1. August wird ihr neuer Dienstherr Lutz Trümper heißen, Oberbürgermeister von Magdeburg. Julia Borrmann fängt dann ihre dreijährige Ausbildung als Verwaltungsfachangestellte in der Landeshauptstadt an. „Mit der Calbenser Zeit im Rücken fühle ich mich gut vorbereitet“, sagt sie.