1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Schönebeck
  6. >
  7. Luther schrieb nach Calbe

Reformation Luther schrieb nach Calbe

Ein kleine, aber feine Rolle hat Calbe bei der Reformation gespielt. Im Fokus: Das frühere Schloss und ein Brief Martin Luthers.

Von Dieter Horst Steinmetz 22.11.2016, 23:01

Calbe l Die alte Handelsstadt und Erzbischofs-Zweitresidenz Calbe an der Saale wirkte in der Ausgangsphase der lutherischen Reformation als „Rad im Getriebe“ des geistlichen Umgestaltungsprozesses. Hier öffneten am 17. November die Magdeburger erzbischöflichen Räte im Schloss Calbe den initialisierenden Brief Luthers vom 31. Oktober 1517, weil der Adressat Erzbischof von Mainz und Magdeburg, Erzkanzler und Kardinal Albrecht von Brandenburg wegen der zunehmenden Unruhen seine mitteldeutschen Residenzen Magdeburg und Halle verlassen hatte und in das Erzbistum Mainz abgereist war.

In diesem von Luther lange vorbereiteten Brief, den die Räte umgehend in Albrechts kurmainzische Residenz Aschaffenburg weiterschickten, legte der Mönch und Universitätsprofessor aus Wittenberg seinem Vorgesetzten detailliert dar, warum der Ablasshandel sträflicher Unsinn sei und die Gnade Gottes nicht käuflich wäre.

Von Aschaffenburg aus instruierte Albrecht die erzbischöflichen Räte in Calbe und den landesherrlichen Statthalter, alles zu unternehmen, dass sich aufrührerische Gedanken nicht im Magdeburger Land ausbreiten könnten. Der auch informierte Papst in Rom interessierte sich nicht für Luthers „Mönchsgezänk“. Und der Absender des Briefes bekam nach Wochen immer noch keine Antwort.

Während die Thesen Luthers mittels Flugschriften den Weg in die Bevölkerung gefunden hatten, schrieb Luther am 4. Februar 1520 einen zweiten, wiederum sehr höflichen und geradezu flehentlichen Brief an Kardinal Albrecht, der sich nun zeitweilig wieder im Magdeburger Land aufhielt. Der Kirchenfürst antwortete am 26. Februar vom Schloss Calbe aus so ausweichend und am Kern des lutherischen Anliegens vorbei, dass Luther die Geduld verlor und nun seine großen Reformations-Werke, unter anderem „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, veröffentlichte.

Das wiederum rief die römische Kurie auf den Plan, die das Ganze nun nicht mehr als banales Mönchsgezänk abtun konnte. Es folgten für Luther 1521 bekanntlich der Bann (Exkommunizierung), die Reichsacht und das Wartburg-Exil. Diese hochdramatische Zuspitzung hatte schließlich ein absichtlich nichtssagender Vorgesetzten-Brief aus Calbe bewirkt.

Fazit: Der wohl berühmteste Lutherbrief vom 31. Oktober 1517 war in Calbe behördlich geöffnet worden, und der in Calbe geschriebene Brief Kardinal Albrechts an Luther vom 26. Februar 1520 hatte schließlich die zweite Phase mit dem Höhepunkt der lutherischen Reformation ausgelöst.

Seit 1524 trat Calbe aus seinem Passiv-Zustand heraus. Während in Magdeburg die Bilderstürmerei und bewaffnete Revolten tobten und das Bauernheer Thomas Müntzers nur zwei Tagesmärsche von hier entfernt stand, kam es in Calbe 1524/25 zu einem Volksaufstand, der sich vor allem gegen die städtische Oberschicht richtete. 1539 und 1541 erbat Erzbischof Albrecht im Schloss Calbe von den Ständen des Magdeburger Landes die Bezahlung seiner enorm hohen Schulden. Gegen die Einführung der Reformation in den meisten Städten des Magdeburger Territoriums unternahm der todkranke Fürst nichts mehr. Am 11. Juni 1542 fand in der St.-Stephani-Kirche der erste evangelische Gottesdienst in Calbe statt. Calbes Bürger hatten sich einhellig und begeistert der neuen Lehre zugewandt.

In der folgenden Zeit gingen die Calbenser den Weg des strenggläubigen Luthertums. In den Konfessionskriegen hatten sie schwer zu leiden. Unter preußischer Herrschaft seit 1680 und durch die Zuwanderung französischer Hugenotten und pfälzischer Reformierter öffnete sich Calbe der evangelisch-reformierten Kirche. Bedeutende Theologen wie Pastor Hävecker machten Calbe im 18. Jahrhundert zu einer Hochburg des Pietismus, einer Lehre der intensiven Verinnerlichung des evangelischen Glaubens. Dass Calbe jahrhundertelang seit dem 16. Jahrhundert ein Hort der vorbildlichen kommunalen Bildung mit einem gut ausgestatteten Schulwesen war, ist vorrangig auf den Einfluss Luthers und seines Nachfolgers Melanchthon zurückzuführen.