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Sammler-Serie Besuch im Gedächtnis der Stadt

Britta Meldau und Mathias Hille sind echte Profi-Sammler: Sie sammeln Dokumente im Schönebecker Stadtarchiv.

Von Jörn Wegner 26.01.2017, 17:52

Schönebeck l Wäre die Stadt Schönebeck ein menschlicher Körper, säßen Britta Meldau und Mathias Hille ganz oben, im Gehirn, Bereich Gedächtnis.

Beide sammeln von Berufs wegen. Britta Meldau leitet das Archiv der Stadt Schönebeck, Mathias Hille ist als Mitarbeiter im Haus angestellt. Ihr Auftrag: „Geschichte bewahren und Rechtssicherheit nachweisen“, erklärt Britta Meldau.

Wer in dem Gebäude in der Prager Straße in Schönebeck überquellende Regale, alte Pergamente und geheimnisvolle Schatullen erwartet, irrt. Im Keller des Archivs geht es sehr aufgeräumt zu. In grauen Rollregalen stehen einheitliche Archivkartons, es riecht etwas muffig nach altem Papier.

Oft ist das Gesammelte unspektakulär. Die Archivare müssen etwa Stadtratsbeschlüsse aufheben, um Entscheidungen nachweisen zu können, falls jemand Zweifel hegt. Dabei kommt einiges zusammen. 500 laufende Meter Akten lagern in den Regalen.

Neben der profanen Stadtpolitik liegen aber auch einige Schätze im Archiv. Zum Beispiel eine Urkunde aus dem Jahr 1336. Das älteste Dokument regelt die Soleentnahme aus den Solequellen in Bad Salzelmen. Da die Quellen verschiedene Salzqualitäten aufwiesen, war vorgeschrieben, dass die Sole aus sämtlichen Quellen nach der Entnahme gemischt wird, so dass kein Händler einen Vor- oder Nachteil haben sollte. Andere besondere Dokumente sind ein Brief von Melanchthon aus der Reformationszeit und eine Sammlung von Hexenprozess-Akten.

Trotzdem bleibt das Stadtarchiv ein Zwerg im Vergleich zu Bundes- und Landesarchiv. Das liegt auch daran, dass etwa Unterlagen wie Polizei- oder Regierungsakten nicht in dem Kleinstadtarchiv zu finden sind. Viele Besucher hätte sie schon zurückschicken müssen, sagt Archivarin Meldau. Sie hatten nach Unterlagen gesucht, für die übergeordnete Archive verantwortlich sind.

Britta Meldau hatte schon immer einen Hang zum Sammeln und Archivieren. Vor der Wende war sie in der Stadtbibliothek beschäftigt, danach ging sie ins Stadtarchiv, wo fortan systematischer gesammelt wurde als zu DDR-Zeiten. Auch Mathias Hille hat es als Verwaltungsbeschäftigter ins Archiv verschlagen. „Es gibt viele Seiteneinsteiger“, sagt Britta Meldau. Vor Generationen war das Gemeindearchiv die Sache von Pastoren und den damals schlecht bezahlten Lehrern. Heute sind Museologen, Historiker und Bibliothekare typische Archivbeschäftigte.

Was im Stadtarchiv fehlt, sind Restauratoren. Wenn Archivalien bereits in einem bedenklichen Zustand sind, etwa halbzerfallene Papiere, müssen diese zu Profis außerhalb von Schönebeck gebracht werden. „Wir können hier nur allererste Hilfe leisten. Es ist ein ständiger Kampf gegen den Verfall“, sagt Britta Meldau. Dabei sind es gar nicht die jahrhundertealten Dokumente, die Sorgen machen. Der Verfall schreitet besonders schnell voran, wo säurehaltiges Papier genutzt wurde. Dokumente aus der DDR, Zeitungen und Unterlagen, die während der Weltkriege entstanden, sind besonders anfällig. Hier das ostdeutsche Sparpapier, da das Kriegspapier.

Um Überlieferungslücken zu schließen, sind die Archivare immer auf der Suche nach Dokumenten. Historische Postkarten sind zum Beispiel immer gern gesehen, sagt Archivar Hille. Privatpersonen können gerne ihre Karten anbieten. Wichtig ist dabei ein Nachweis, dass der Verkäufer auch der tatsächliche Eigentümer ist. „Hehlerware wollen wir hier nicht“, sagt Hille

Doch die Archivare sammeln nicht nur zum Selbstzweck. Die Archivalien stehen Nutzern zur Verfügung. Hobbyhistoriker, die sich mit Heimatgeschichte beschäftigen, sind oft Gäste im Archiv. Manchmal nutzen Studierende die Bestände, und Schulklassen verbringen ihren Geschichtsunterricht im Archiv.

Auch Ausgaben der Volksstimme aus alten Zeiten liegen im Stadtarchiv. Allerdings ist die Überlieferung lückenhaft, systematisch wurde das Blatt erst zu DDR-Zeiten gesammelt, etwa ab 1955, sagt Hille. Davor hatte die Volksstimme auch andere Aufgaben: „Das Papier wurde oft als Stroh-Ersatz in Ställen genutzt.“