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Stadtsee-Serie Der schönste Platz ist an der Theke

Für die Serie „24 Stunden Stadtsee“ hat die Volksstimme von 12 bis 12 Uhr, einen anderen Akteur des Stadtsee-Lebens besucht.

Von Thomas Pusch 23.07.2015, 01:01

Stendal l Um 22 Uhr geht im Wahrburger Krug noch lange nicht das Licht aus. So ist auch der Tresen von einer Reihe Stammgäste besetzt, die fröhlich ins Gespräch vertieft sind. „Ich sag nichts, redet ihr mal“, meint Chefin Ramona Wurche, aber diese Einstellung soll sich im Lauf der Stunde noch ändern.

Christa macht den Anfang. Die ältere Dame in ihren Siebzigern ist dereinst aus Nahrstedt zu Besuch in die Gaststätte gekommen. Doch diese Zeiten sind vorbei, seit einigen Jahren wohnt sie in Stadtsee. „Erst habe ich direkt neben dem Wahrburger Krug gewohnt, aber dann ist Ramona weggezogen“, erzählt sie. Am alten Standort an der Otto-Lilienthal-Straße gab es vor zwei Jahren Schwierigkeiten mit dem Vermieter. „Schlaflose Nächte hat sie gehabt“, meint Christa. „Ach, lass doch“, winkt die Chefin ab, seit zwei Jahren ist sie nun an der Carl-Spitzweg-Straße, die Gäste sind ihr gefolgt. Ob sie das zu jeder Adresse getan hätten, kann nicht geklärt werden.

„Zwischenzeitlich wollte sie mal an den Schadewachten ziehen“, sagt Matthias und das hört sich so an, als ob das ein Ort in einem anderen Land wäre, aber letztlich „sind wir Stadtsee und nicht Altstadt“. Und so fiel es nicht schwer, die Treue zu halten. Christa, Matthias und auch Stan kehren schon seit über 30 Jahren in den Wahrburger Krug ein. Ein Frischling ist hingegen Karsten, der von den meisten „Schnucki“ gerufen wird. Der 48-Jährige ist seit zwei Jahren dabei, aber nicht nur, dass er einen Spitznamen hat, ist Beleg dafür, dass er in den Familienkreis aufgenommen worden ist.

Und als Familie fühlen sich die Stammgäste. „Wir reden über Politik, ernste und heitere Themen und auch ganz viel über Privates“, zählt Christa auf. Neulich rief sie Ramona Wurche an, fragte, ob sie noch allein in der Gaststätte sei und bekam dann zwei Stunden ein offenes Ohr. Sie ist mittlerweile verwitwet, kommt allein in die Kneipe, ist aber nie einsam. Und sie hat noch ein Beispiel für den Zusammenhalt. „Neulich haben mir die Männer den Autoschlüssel weggenommen, weil ich nicht mehr fahren sollte, und am nächsten Tag hat mir Ramona das Auto gebracht.“ Die so Gelobte lächelt, ihr liegen die Gäste eben am Herzen. Und das schon seit Jahrzehnten.

Sie stammt aus einer Gastronomiefamilie. Ihre Eltern betrieben die Lindtorfer LPG-Gaststätte, später das mittlerweile abgerissene „Zur guten Quelle“ in der Bruchstraße und ab 1990 den Wahrburger Krug. „So bin ich auch seit rund 30 Jahren in der Gastronomie tätig“, erzählt die 49-Jährige, die sich 2002 selbstständig gemacht hat. Als die Familie den Krug vor 25 Jahren übernahm, hatte die Gaststätte schon acht Jahre bestanden. So kann sie auch nicht gleich beantworten, woher der Name stammt, schließlich ist weder die alte noch die neue Adresse im Ortsteil Wahrburg gelegen. Stan kann weiterhelfen: „Das Gelände hier gehörte mal einem Wahrburger, daher.“

Mit großem Hallo werden zwei Neuankömmlinge begrüßt: Mandy und Wolfgang. Die beiden sind zwar schon 2001 in die Nähe von Paderborn gezogen, halten dem Wahrburger Krug aber immer noch die Treue. „In Magdeburg hatte ich nur einen Zeitvertrag, das war mir zu unsicher, und hier hat sich nichts ergeben“, erklärt die 35-jährige Krankenschwester. Ihr Mann Wolfgang, gelernter Bäcker, musste mitkommen. Nach mehreren Operationen an der Halswirbelsäule ist er mittlerweile erwerbsunfähig und kümmert sich um den Haushalt. „Ich mache alles“, behauptet er und Mandy widerspricht nicht, sondern lächelt nur.

Sie hat im Krug ihre Jugendweihe gefeiert, Feiern gehören überhaupt zu der Einrichtung, die zu DDR-Zeiten die passende Bezeichnung Wohngebietsgaststätte trug. „Manche haben hier geheiratet und nun ihre Silberhochzeit gefeiert“, weiß die Chefin. „Und wer sonnabends hier feiert, kann am Sonntag ein ganz tolles Frühstück bekommen“, ergänzt Christa.

Das Essen ist etwas, wovon die Stammgäste neben den guten Gesprächen und gekühlten Getränken in den höchsten Tönen schwärmen. „Deutsche Küche, wo gibt es das noch und hier sowieso nicht“, nennt Matthias einen wichtigen Grund. Für das Essen gibt es im Krug einen Koch, manchmal hilft auch die Seniorchefin in der Küche. Auf ihrer Seite des Tresens steht Ramona Wurche zumeist allein – dienstags bis sonnabends ab 17 Uhr, sonntags ab 11 Uhr. Wann Feierabend ist, steht nie fest, wenn sie ihren Arbeitstag beginnt. Lediglich Montag ist Ruhetag.

Da ist für Privatleben kaum Platz, einen längeren Urlaub hat sie schon seit Jahren nicht mehr gemacht. „Eine Wirtin, die keine Beziehung hat, erweckt bei den männlichen Gästen die Erwartung, man könnte sie haben“, gibt Christa zu bedenken. Karsten wird von den anderen unterstellt, in die Chefin verliebt zu sein, aber das soll nicht ausdiskutiert werden.

„Christa hat auf jeden Fall mehr Verehrer als ich“, meint sie lächelnd. Dazu gehört ein Herr, der regelmäßig mit dem Taxi vom Dorf kommt, Ramona und Christa eine Rose überreicht, ein paar trinkt und dann wieder das Taxi zurück nimmt. „Das muss man sich mal vorstellen, das sind allein 90 Euro fürs Taxi“, rechnet die Chefin vor. Das ist wohl wahre Treue.

Nächste Folge: Am Sonnabend, 25. Juli, sind wir von 23 bis 24 Uhr auf der fast stillen Stadtseeallee unterwegs.