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24 Stunden Stadtsee Mit Tanger 62-20 durch die Nacht

Für die Serie „24 Stunden Stadtsee“ hat die Volksstimme zu jeder Stunde einen anderen Akteur im Stendaler Stadtteil besucht.

Von Thomas Pusch 30.07.2015, 01:01

Stendal l „Sie fahren mit zwei Kollegen Streife“, hatte Chris Schulenburg, Leiter des Reviereinsatzdienstes, meine Anfrage beantwortet. Damit hatte ich wirklich nicht gerettet, hätte mich auch mit dem Blick über die Schulter des Mannes in der Zentrale, dem Einsatzleitbeamten, wie ich noch lernen sollte, zufrieden gegeben. Aber so ist es natürlich viel interessanter.

Es ist ein Uhr morgens, als ich die Wache betrete, der Einsatzleitbeamte weiß Bescheid, bringt mich zu Frank Jakob, der in dieser Nacht der Leitende Einsatzbeamte vom Dienst ist. „Die beiden haben einen Drogenfahrer erwischt und müssen sich jetzt erstmal um den Vorgang kümmern“, erklärt er mir, warum ich mich noch gedulden muss. Ich kenne Frank Jakob von den Presseberichten und finde die Vorstellung interessant, diesmal die Polizeimeldung von der anderen Seite erleben zu können. Falls in dieser Stunde etwas passiert und der Drogenfahrer nicht der einzige Vorfall war, den ich nun schon verpasst habe.

Oberkommissar Björn Miegel, der in dieser Schicht Dienstgruppenleiter und Vertreter von Jakob ist, und Polizeimeister Timmy Becker holen mich ab. „Drogen und Alkohol sind ein sehr großes Problem“, sagt Miegel, als wir vom Hof auf den Uchtewall fahren.Auch Drogen wie Crystal Meth werden mittlerweile in der Altmark konsumiert. Die Fahrer sind nicht in Schlangenlinien unterwegs. Vielmehr verraten sie starre Pupillen und fehlender Speichelfluss.

Den Mann, der auf der Erich-Weinert-Straße mit seinem Fahrrad ohne Licht unterwegs ist, verraten hingegen die Schlangenlinien. Becker öffnet das Fenster, hält die Kelle raus. Ende der Fahrt. 22 Jahre alt ist der Mann, der nun erstmal einen Alkoholtest absolvieren muss. Der Verdacht der Polizisten bestätigt sich: 2,49 Promille.

Sie durchsuchen den 22-Jährigen, der lässt das über sich ergehen. Er ist einverstanden damit, sich auf dem Revier Blut abnehmen zu lassen. „Ich mache kein Theater“, verspricht er. Und setzt sich hinten in den Wagen. Auf meinem ehemaligen Platz steigt Timmy Becker ein. Sicherheit geht vor. Ich bin jetzt der Beifahrer. Und zurück geht‘s zum Revier. Ohne Probleme nimmt der ehemalige Radfahrer die Stufen zur Eingangstür und dann sitzen wir im Büro von Miegel und Becker.

Über den Papierkram, den Polizisten zu erledigen haben, wird in Krimis viel gesprochen, nun erlebe ich ihn selbst. Da müssen Formulare ausgefüllt werden, der 22-Jährige muss bestätigen, dass er einverstanden ist mit der Blutuntersuchung und versichern, dass er seit dem Treffen mit der Polizei keinen Alkohol mehr getrunken hat. Wo hätte er den auch herbekommen sollen? Aber rechtlich hat das eine Bedeutung. Amtsärztin Dr. Iris Schubert wird verständigt, sie soll Blut abnehmen. „Arbeiten Sie jetzt auch nachts?“, fragt sie mich fröhlich, als sie ein paar Minuten später eintrifft. „Ich versuche mal eine neue Zeit“, antworte ich und erkläre ihr die Serie.

Nach ein wenig Überredungskünsten nimmt sie dem 22-Jährigen das Blut ab, macht noch ein paar Koordinationstests, die er trotz seines Alkoholisierungsgrades erstaunlich gut besteht, und verabschiedet sich dann in die Nacht. „So, jetzt bringen wir Sie nach Hause“, kündigt Oberkommissar Miegel an. So richtig angenehm ist das dem Betrunkenen nicht, aber immer noch besser, als ohne Fahrrad und Orientierung durch die Nacht zu stolpern. In der Wohnung seiner Mutter hinter der Pestalozzi-Schule öffnet niemand. Also weiter zu seiner Schwester im Maler-Viertel. Es ist tiefe Nacht, nach mehrmaligem Klingeln kommt sie zur Haustür. Und ist sauer. Ich möchte nicht in der Haut ihres Bruders stecken. Er wahrscheinlich auch nicht. Aber wenigstens ist er nicht mehr allein in der Stadt unterwegs. Am übernächsten Tag wird die Geschichte in Kurzform in der Volksstimme stehen – ich weiß mehr.

Weiter geht es durch die leeren Straßen Stadtsees. Da biegt ein dunkelblauer Audi vor uns auf die Straße. „Den halten wir an“, sagt Miegel entschlossen und schaltet per Knopfdruck den Schriftzug „Stop Polizei“ an. Angst hat er in solchen Situationen nicht, versichert er, verlässt sich auf seine Ausbildung, obwohl nie vorherzusagen ist, wer oder was in einem angehaltenen Fahrzeug auf ihn wartet. Im Audi ist es nur ein älterer Herr, der sich darüber beschwert, in dieser Woche zum sechsten Mal angehalten worden zu sein, und weiterfahren darf.

„Natürlich gibt es unterschiedliche Gegenden in Stadtsee“, erklärt Miegel. Das Tiergartenviertel habe in der Tat einen Wandel zum Guten vollzogen, aber auch in den anderen Teilen des Stadtteils gebe es unterschiedliche Bewohner. Unsanierte Blöcke mit defekter Hausnummer, die gehören zu den Stammkunden der Stendaler Polizei. Ruhestörender Lärm, häusliche Auseinandersetzung, Körperverletzung. Gründe, warum Polizisten wie Miegel und Becker zum Einsatzort gerufen werden. Doch nicht heute Nacht. In den Nebenstraßen brennt nur noch in wenigen Fenstern Licht. Zurück geht es auf die Stadtseeallee.

Ein weißer Kleinwagen kommt uns entgegen. Miegel macht eine 180-Grad-Drehung, schaltet die Leuchtschrift an. „Man kommt sich ja vor wie ein Schwerverbrecher“, ärgert sich die junge Fahrerin. „Aber wir konnten im Dunkeln nicht sehen, dass die liebe Frau X hinterm Steuer sitzt und nicht der böse Herr Y“, entspannt der Oberkommissar die Lage. Es fängt an zu regnen. Das macht auch den bösen Buben keinen Spaß. Und es gibt ja noch eine Menge Papierkram zu erledigen. „Ohne Anhalten keine Erkenntnisse“, erklärt Miegel, warum nicht nur Schlangenlinien oder schnelles Tempo dazu führen können, von der Polizei angehalten zu werden.

Ich steuere mein Auto vom Polizeirevier nach Hause. Um eine Menge Erkenntnisse reicher. Und eine gehörige Portion Verständnis.

Nächste Folge: Am Sonnabend, 1. August, schauen wir von 2 bis 3 Uhr beim Nachtschalter einer Tankstelle vorbei.