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Politiker-Spagat Besonderes Spannungsverhältnis

Kieler Oberbürgermeisterin verzichtete auf Kontrollposten bei der Sparkasse und setzte Finanzfachmann ein

11.08.2015, 19:25

Stendal/Berlin l Susanne Gaschke war eine Quereinsteigerin als Rathauschefin. Jahrzehntelang hatte sie im Politikressort der renommierten Wochenzeitung „Die Zeit“ gearbeitet. Im November 2012 wurde sie zur Oberbürgermeisterin von Kiel gewählt. Sie musste zugleich 29 Aufsichtsratsmandate, Beirats- und Kuratoriumsposten übernehmen. „Kein Mensch kann sie neben dem Totaljob des Rathauschefs in verantwortungsvoller Weise ausfüllen“, schreibt sie in ihrem Buch „Volles Risiko – was es bedeutet, in die Politik zu gehen“.

„Überhaupt ist es eine relativ fahrlässige Fiktion anzunehmen, nur weil man ein Wahlamt errungen hat, versteht man automatisch etwas von Sparkassenaufsicht“, arbeitet Gaschke (selbst)kritisch dieses Kapitel auf. „Aber praktisch alle Beteiligten machen sich und anderen genau dies vor. Sie können keine Bilanzen lesen, kennen oft die Märkte und Produkte nicht“, schreibt sie von einem „unglücklichen Spannungsverhältnis zwischen komplexer Materie und amateurhafter Aufsicht“. Ihr Fazit: „Keiner oder kaum einer von uns hatte die fachlichen Voraussetzungen, um wirklich unabhängig und kritisch nachfragen zu können.“

Als Oberbürgermeisterin zieht Gaschke daraus Konsequenzen. Sie setzt für ihre Position in der Führung des Sparkassenverwaltungsrates einen ausgewiesenen Finanzfachmann ein, der zuvor lange Jahre im Vorstand der schleswig-holsteinischen Investitionsbank saß.

Es sei für „einige ein Kulturschock gewesen“, erinnert sie sich im Volksstimme-Gespräch, „dass nicht alle glücklich darüber waren“. Vor zwei Jahren sprach Gaschke bei der Vorstellung der Personalie von einer „Leuchtturmfunktion“. „Vielleicht setzen wir auch überregional ein Zeichen“, hoffte sie.

„Ich hätte das gerne im Deutschen Städtetag thematisiert“, ist die Ex-OB noch heute von diesem Schritt überzeugt. „Wenn man Fachleute findet, muss man auch ertragen, was sie dann raten“, weist sie aber auch auf die besondere Brisanz des Blicks von außen hin.

Susanne Gaschke weiß, wovon sie spricht. Einen Städtetag erlebte sie danach nicht mehr. Vielmehr reichte sie wenige Wochen später ihren Rücktritt ein; zermürbt von politischen Ränkespielen an der Kieler Förde.

„Man darf nicht sagen, dass man etwas nicht kann. Vielmehr muss man permanent so tun, dass man alles kann“, ist eine ihrer Erkenntnisse aus dem Abstecher in die Politik.

Heute begleitet Gaschke die Politik wieder als Journalistin. Sie arbeitet inzwischen in Berlin als Autorin für „Die Welt“. Zwei Bereiche aus der Welt der Kommunalpolitik hält sie als Journalistin für besonders interessant: Fördermittelvergaben und „das Spannungsverhältnis zwischen hauptamtlicher Verwaltung und ehrenamtlicher Politik“.

Beim Sparkassenverwaltungsrat ist sie überzeugt, dass ihr Weg richtig war. Gaschkes Nachfolger ließ sich dagegen umgehend wieder in das Gremium wählen.