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Amtsgericht Stendal „Ihre Gleichgültigkeit kotzt mich an"

Ein Wehrleiter streitet die Verantwortung für ein Osterfeuer ab, bei dem sich ein Junge verletzte.

Von Wolfgang Biermann 06.10.2015, 18:19

Stendal l Seit September geht es vor dem Amtsgericht Stendal um den Fall eines Jugendlichen, der sich 2014 bei einem Osterfeuer in einem Ortsteil von Bismark verletzte. In dem Strafprozess geht es darum, zu klären, ob sich der Ortswehrleiter der veranstaltenden Feuerwehr der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht hat. Möglicherweise war das Feuer nicht ordnungsgemäß abgelöscht worden, als der Junge sich am Ostermontag an der Restglut verletzte. Der Junge spielte mit anderen Mitgliedern des Tischtennisvereins ein Volleyballspiel. Der Ball fiel dabei in die erloschen geglaubte Feuerstätte. Der Junge holte den Ball heraus und zog sich dabei schwere Brandverletzungen am Fuß zu. Der Vater des Jungen alarmierte die Feuerwehr, die den Brandherd ablöschte.

Der Prozess vor dem Amtsrichter droht sich hinzuziehen. Nach dem ergebnislos verlaufenen Prozessauftakt gab es eine richterlich angeordnete polizeiliche Durchsuchung sowohl im Haus des Wehrleiters als auch im Feuerwehrgerätehaus.

„Notfalls werden wir hier alle 29 Mitglieder der Feuerwehr als Zeugen hören, und wenn der Prozess bis Weihnachten dauert“, erboste sich die Staatsanwältin angesichts der, wie sie vermutet, falsch verstandenen Kameradschaft unter den bislang gehörten Angehörigen der Feuerwehr. „Ihre hier zur Schau gestellte offensichtliche Gleichgültigkeit kotzt mich an“, ließ die Staatsanwältin am zweiten Prozesstag ihrem Unmut gegen den Wehrleiter freien Lauf.

Sie vermisse ein Zeichen von Mitgefühl für den Jungen, selbst wenn die Feuerwehr keine unmittelbare Schuld an dessen Verletzung treffen sollte.

Die Verantwortung für die Verletzung des Jungen lehnt der angeklagte Wehrleiter ab. Er sei am Ostersonnabend gar nicht vor Ort gewesen, wisse also nicht, ob dass Feuer aus war, geht aber wohl davon aus. Er verweigert die Aussage, was als Angeklagter sein Recht ist, und will den Namen des ihn beim Osterfeuer vertretenden Verantwortlichen nicht nennen. Die Durchsuchung des Gerätehauses und der Wehrleiterwohnung brachte laut Gericht dazu auch keine Erkenntnisse.

Und die bislang als Zeugen gehörten Feuerwehrleute geben allesamt vor, nicht zu wissen, wer denn der Verantwortliche fürs Feuer seinerzeit war. Wer von ihnen welche Funktion bei der Versorgung mit Bratwurst und Bier hatte, wissen sie dagegen noch recht genau. Das sei im Vorfeld festgelegt worden. Aber nicht, wer sich ums Feuer „kümmert“. Das behauptete zumindest ein 29-jähriger Feuerwehrmann als Zeuge. Und: Eine Auswertung des Vorfalls habe es nicht gegeben, zumindest nicht in seinem Beisein.

Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass die Kameraden „mauern“ und sieht darin ein moralisch verwerfliches Tun. Von den Einnahmen des Abends hätte die Wehr Blumen oder ein Präsent für den Jungen kaufen können – ohne jedwedes Schuldeingeständnis, sagt die Staatsanwältin zur Volksstimme. Einen Täter-Opfer-Ausgleich, um den Konflikt außergerichtlich beizulegen, hat der Wehrleiter abgelehnt.

Gegen die gerichtlich angeordnete Durchsuchung hat er Beschwerde beim Landgericht eingereicht. „Wir haben hier die Pflicht zur Sachaufklärung“, begründete Strafrichter Thomas Schulz das Vorgehen.

Bei der Prozessfortsetzung am 20. Oktober sollen der stellvertretende Wehrleiter und weitere Zeugen gehört werden. Die Staatsanwaltschaft erwägt zudem, die Bürgermeisterin als Dienstvorgesetzte und den Feuerwehrverband in den Prozess einzubeziehen. Die Eltern des Jungen kämpfen in einem Zivilprozess um eine Entschädigung für ihren Sohn.