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Demonstration Protest mit vielen Gesichtern

Etwa 250 Menschen protestierten in Stendal gegen einen Rechten-Aufmarsch.

Von Donald Lyko 25.01.2016, 02:00

Stendal l Seine Amtsglocke benötigt der Stadtratsvorsitzende Thomas Weise (CDU) am Sonnabend nicht. Der 13-Uhr-Schlag vom Turm der Marienkirche übernimmt das Signal: Jetzt beginnt die Sondersitzung des Stadtrates auf dem Marktplatz. 26 von 40 Stadträten und Oberbürgermeister Klaus Schmotz (CDU) sind gekommen, etwa noch einmal so viele Bürger. Nach dem Stadtratsvorsitzenden treten die Fraktionsvorsitzenden Joachim Röxe (Linke/Grüne), Reiner Instenberg (SPD/FDP/Piraten/Ortsteile) und Hardy Peter Güssau (CDU/Landgemeinden) ans Mikrofon, ihnen folgen OB Schmotz und Linke-Stadträtin Gesine Seidel als Mitglied im Netzwerk „Herz statt Hetze“. Sie alle rufen die Stendaler auf, Zeichen zu setzen gegen Rechte und für ein weltoffenes Stendal. Rufen dazu auf, bei Übergriffen von Extremisten nicht wegzuschauen, ein deutliches Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit zu setzen und es nicht zuzulassen, dass die Rechten Platz gewinnen in der Stadt.

Während der Stadtrat tagt, versammeln sich die Teilnehmer der „Die Rechte“-Demo am Bahnhof. Um kurz vor 14 Uhr dröhnt Musik aus den Lautsprecherboxen auf dem Dach eines Kleinbusses. Die Texte sind schwer zu verstehen, Zeilen wie: „Wir bleiben steh‘n, wenn alle anderen weichen“ kommen darin vor. Noch reisen Teilnehmer an, die von der gegenüberliegenden Straßenseite teils mit Argwohn, teils mit Sympathie beobachtet werden. „Röxer Straße dicht“, tönt es um 14.14 Uhr aus dem Funkgerät eines Polizisten. Nun steht fest, der Demonstrationszug soll vom Bahnhof über die Röxer Straße in Richtung Stadtsee geführt werden.

Um 14.33 Uhr setzen sich die Demonstranten in Bewegung. An der Bushaltestelle Röxer Straße wollen sich ihnen einige Gegendemonstranten in den Weg stellen, doch sie werden von der Polizei abgefangen. Am Kreisel zur Erich-Weinert-Straße hat sich eine große Gruppe Gegendemonstranten unter der Regie des Studierendenvereins aufgebaut. Es kommt zu gegenseitigen Beschimpfungen, als sich die beiden Gruppen begegnen, Tätlichkeiten verhindert die starke Polizeipräsenz.

Zu den Studierenden hat auch die Partei Die Linke ihren Stand verlegt. Christine Paschke und Peter Zimmermann, beide Mitglieder im Kreistag, und andere geben heiße Getränke und heiße Suppe aus. Rote Luftballons, Transparente und viele Herzen bestimmen die Szenerie hinter der Absperrung. Am Weg stehen einige schnell gebaute Schneemänner, Plakate haltend.

Um 15 Uhr entscheidet die Polizei, dass der Demonstrationszug nicht geradeaus zur Stadtseeallee, sondern rechts in die Wahrburger Straße geleitet wird. So soll eine Begegnung mit Gegendemonstranten, die sich an der Agentur für Arbeit aufgestellt haben, verhindert werden. Kurz nachdem der Zug auf die Stadtseeallee eingebogen ist, setzen sich ihm die Bundestagsabgeordnete Katrin Kunert (Die Linke) und FH-Professorin Nicola Wolf-Kühn in den Weg. Sie werden von der Polizei weggeschleift.

An der Werner-Seelenbinder-Straße halten die Demonstranten, es gibt eine Kundgebung. In den Reden wird gegen die deutsche Asylpolitik Stimmung gemacht, die als deutschlandfeindliche Politik bezeichnet wird, es wird von den Sklaven der BRD GmbH gesprochen und der nationale Sozialismus heraufbeschworen.

Nach etwa einer Stunde geht es weiter, aber nicht weiter auf der Stadtseeallee, sondern über Friedrich-Ebert-, August-Bebel- und Dr.-Kurt-Schumacher-Straße zurück zur Erich-Weinert-Straße. So hat die Polizei eine Begegnung mit Gegendemonstranten, die auf dem Wernerplatz gewartet haben, verhindert. Dort hat die Piratenpartei ihren Stand aufgebaut, der Bibliotheksförderverein Bücherfreunde sich dazu gesellt. Es wird aus Büchern vorgelesen und ein von einer älteren Dame übergebener Offener Brief verlesen, es können Herz-Anstecker gefertigt werden. Unterstützung gibt es vom Team des Charity-Shops gegenüber, das Kaffee und Tee bringt und Toiletten zur Verfügung stellt.

Auf der Röxer Straße macht der Zug noch einmal kurz Halt, der Versammlungsleiter erklärt, dass es verboten ist „Ab in den Ofen“ zu brüllen. Gegen 16.40 Uhr haben die Demonstranten wieder den Bahnhof erreicht, einige Minuten später kann der Verkehr wieder über die Bahnhofstraße rollen.

Zu dieser Zeit läuft in der Marienkirche noch das Begegnungsfest, das mit einer Andacht begonnen hatte. Zum Abschluss geht es um 18 Uhr auf den Marktplatz. Erfreulich viele schließen sich an – und es entsteht eine Lichterkette als letztes eindrucksvolles Zeichen dieses aktionsreichen Tages gegen Fremdenfeindlichkeit und für ein tolerantes Miteinander.

Die nüchterne Bilanz im Polizeibericht lautet: Im Ergebnis wurden acht strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet und 42 Platzverweise ausgesprochen.

Gegen einen Teilnehmer des Aufzuges der Partei Die Rechte wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet. Gegen zwei unbekannte Gegendemonstranten wurden Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung eingeleitet, weil diese Schneebälle gegen die Versammlungsteilnehmer des Aufzuges von Die Rechte geworfen hatten.

Gegen eine 14-jährige Teilnehmerin dieses Aufzuges wurde zudem ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung eingeleitet. Diese hatte nach Versammlungsende einen 13-Jährigen ins Gesicht geschlagen.

Katrin Kunert wollte sich am Sonntag gegenüber der Volksstimme nicht zu der Wegräum­aktion äußern. Sie will zunächst das Gespräch mit der Polizei suchen. Enttäuscht ist sie darüber, „dass so wenige Stendalerinnen und Stendaler Gesicht gegen die Rechten gezeigt haben, ohne die Studierenden wären die Aktivitäten sehr spärlich ausgefallen“.