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Anwohner verärgert Die Müllautos kommen nicht mehr

Viele Anwohner der Tangerhütter Schulstraße sind sauer. In ihre Straße sollen Müll-Entsorgungsfahrzeuge künftig nicht mehr einfahren.

Von Birgit Schulze 22.05.2016, 01:01

Tangerhütte l Vor einer Woche ist den Anwohnern an der Tangerhütter Schulstraße ein Brief ins Haus geflattert, der viele wütend machte. Die Abfallentsorgungsgesellschaft des Landkreises teilte den Anwohnern mit, dass ab sofort Abfallbehälter und Sperrmüll am Anfang der Straße (Schulstraße 2a) bereitgestellt werden müssten. Hintergrund sei unter anderem eine fehlende Wendemöglichkeit. Doch das sei so gar nicht richtig, sagen die Anwohner. Schon seit Jahrzehnten gebe es einen kleinen Wendeplatz im hinteren Teil, darüber hinaus könnten sich die Anwohner auch ein zeitweises Parkverbot in der Straße vorstellen, um den Entsorgern das Durchkommen zu erleichtern.

Das Problem dabei: Niemand hatte bisher mit ihnen gesprochen, sie fühlen sich komplett überfahren. Und nicht nur sie. Das Problem sprach auch Rita Platte (WG Altmark/Elbe) im Stadtrat an, denn auch in Grieben hatte es solche Briefe gegeben. Selbst die Ortsbürgermeister seien bisher nicht einbezogen worden, sagte sie. „Man muss doch vor Ort mit den Leuten reden und sich nicht auf Gesetze zurückziehen. Wenn man so mit ihnen umgeht, brauchen wir uns nicht wundern, wenn in ein paar Jahren 20 AfD-Leute im Stadtrat sitzen“, empörte sie sich. Edith Braun (WG Lüderitz) pflichtete ihr bei: „Der Bürger darf doch nicht der Letzte sein, den die Hunde beißen!“, auch in Lüderitz gibt es die Probleme. Peter Jagolski (SPD) berichtete von einem angekündigten Gespräch mit Verantwortlichen des Dualen Systems in Tangerhütte und sagte: „Da sollte die Verwaltung dabei sein!“

Bürgermeister Andreas Brohm (parteilos) sprach nicht nur im Stadtrat, sondern auch gestern Morgen bei den Anwohnern der Schulstraße davon, dass sich die Kommune um eine Lösung bemühen wolle, auch wenn sie selbst nicht zuständig sei. Er kritisierte die Art und Weise der Kommunikation in diesem Zusammenhang und hätte sich mehr Zeit zur Lösungssuche gewünscht. Die Stadt hatte zum gleichen Zeitpunkt wie die Betroffenen von dem Problem erfahren.

Wie die ALS auf Nachfrage bestätigte, gab es Meldungen über die Nichtbefahrbarkeit von 17 Straßen in der Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte vonseiten eines einzelnen Entsorgers, daraufhin wurden seit Anfang 2016 alle Straßen geprüft. In zehn Fällen konnte durch Baumschnitt oder geänderte Beschilderungen bereits eine Lösung gefunden werden, sieben Straßen seien noch in der Klärung und für drei sei absehbar, dass sie künftig nicht mehr befahren werden. Die ALS verweist unter anderem auf seit 1990 geltende Unfallverhütungsvorschriften zur Müllbeseitigung und sicherheitstechnische Anforderungen an Straßen für die Sammlung von Abfällen.

Gestern früh soll es vor Ort eine hitzige Debatte mit einem Mitarbeiter des Unternehmens, das die gelben Tonnen leert, gegeben haben. „Die Tonnen bleiben alle stehen!“, soll dieser am Morgen verkündet haben, nachdem er Fotos von der Schulstraße gemacht hatte, erzählt Karsten Heinemann. Er wohnt, wie viele seiner Nachbarn, seit Jahrzehnten in der Schulstraße. Die Siedlung, die in den 50er Jahren gebaut worden ist, beherbergt vor allem ältere, zum Teil auch körperlich beeinträchtige Menschen. Mit dem Besuch am frühen Morgen sollte wohl geprüft werden, ob sich die Anwohner an die Anweisung der ALS gehalten hatten, doch die verweigern jetzt erst recht den Gehorsam.

Abgesehen davon, dass Über-80-Jährige die Tonnen gar nicht mehr bis zum gewünschten Sammelplatz am Straßenanfang schaffen können, es im Winter keinen Räumdienst in der Sackgasse gibt und neben dem Schulhofgelände der Gemeinschaftsschule knapp 30 Mülltonnen stehen würden, die möglicherweise umgeschubst oder anders befüllt werden, sagt Heinemann: „Wenn wir heute nachgeben, dann haben wir schon verloren!“

Die Anwohner sind sich in einem einig: Die Tonnen wurden in den vergangenen 60 Jahren vor den Häusern abgeholt und sollen es auch künftig. Der Bürgermeister war gestern früh nicht nur selbst vor Ort, auch Vertreter des Ordnungsamtes suchten das Gespräch mit den Anwohnern.

Sie hatten inzwischen von einem neuen Angebot der ALS erfahren, das einigen Anwohnern telefonisch mitgeteilt worden war. Demnach wolle der Entsorger bis zur Hälfte der Straße (Höhe Hausnummer 16) rückwärts fahren und vor diesem Haus einen Sammelplatz einrichten. „Hat man denn die Anwohner gefragt, ob die das in Ordnung finden?“, fragt Kristina Hofleut. Sie ist an beiden Hüften operiert worden. Nachbar Siegmund Neumann (82) ist auf einen Rollator angewiesen, auch Hildegard Müller (77) und Hans-Joachim Albrecht (82) sehen sich nicht in der Lage, sämtliche Mülltonnen die Straße hinunterzuschieben. Gestern blieben die Tonnen im hinteren Teil der Straße voll.

Ein Anwohner kündigte an, den Inhalt der gelben Tonnen einfach aufs Gelände des Tangerhütter Entsorgers zu schütten, wenn diese nicht mehr abgeholt werden. Doch der Entsorger handele ja nach Recht und Gesetz, so der Bürgermeister. Er sprach von Regeln und Vorgaben, die wie in diesem Fall einfach nicht auf den ländlichen Raum passen, und wünscht sich Ausnahmeregelungen. So wie in Tangermünde, wo kleinere Entsorgungsfahrzeuge fahren, weil die Straßen schmaler sind.