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Schauplatz Stendal Cora Stephan: "Vom Leben abgeschrieben"

Stendal ist Schauplatz im Roman „Ab heute heiße ich Margo“. Autorin Cora Stephan spricht über ihr Buch.

Von Nora Knappe 28.05.2016, 01:01

Im Nachwort Ihres Buches ist zu erfahren, dass Ihre Tante und Eltern nicht nur Informationsquelle für Ihren Roman waren, sondern auch Inspiration für die Hauptfiguren. Konnten sie die Veröffentlichung oder zumindest die Arbeit am Roman denn noch miterleben?

Cora Stephan: Warum schreibt man so ein Buch erst, wenn Eltern und Tante bereits tot sind? Das habe ich mich oft gefragt. Es liegt vielleicht am eigenen Lebensalter, erst jetzt rückt einem die ältere Generation näher. Vielleicht auch, im Gegenteil, an der Distanz, die man braucht, um mit den Erinnerungen der Familie so freihändig umzugehen, wie es ein Roman verlangt. Jedenfalls habe ich heute das Gefühl, Eltern und Tante besser zu verstehen als zu ihren Lebzeiten. Dabei bin ich mir sicher: Sie hätten das Buch mit Amüsement und Zustimmung gelesen.

Was war zuerst da: die Erzählungen über die Vergangenheit, über das eigene Erlebte Ihrer Eltern/Tante, aus denen sich bei Ihnen der Wunsch entwickelte, alles aufzuschreiben oder hatten Sie zunächst die Idee zum Roman?

Meine Familie hat immer geschrieben – tonnenweise Briefe, aber auch Tagebuch und Lebenserinnerungen, Material, aus dem ich auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin schöpfen durfte. Meiner Tante verdanke ich minutiöse Schilderungen ihres Lebens als Fotolehrling in Stendal. Das waren die Grundmauern, auf denen ich mein fiktionales Gebäude errichten konnte.

Der Roman ist ja nicht nur Lebensgeschichte, sondern auch Zeitgeschichte, Politik. Wurde bei Ihnen zu Hause früh offen über die Vergangenheit und über die ganz persönlichen Verwicklungen gesprochen?

Sagen wir es so: Ich verstehe heute die entnervend besorgten Fragen meiner Mutter besser, ob mir nicht kalt sei und ob ich auch genug zu essen hätte. Sie und mein Vater haben im und nach dem Krieg jahrelang gefroren und gehungert – und haben später erstaunlich wenig darüber geklagt. Ansonsten war die Vergangenheit selten Thema: Man wollte hinaus in die Zukunft, in ein neues Leben. Auch das kann ich heute nachvollziehen.

Wenn ich als Leser weiß, dass viel Autobiografisches eingeflossen ist, bin ich geneigt, ständig zu fragen: Wieviel davon ist echt, wieviel erfunden, geformt? Empfinden Sie das Buch als eine Art Tagebuch Ihrer Familie?

Ich weiß manchmal nicht mehr so genau, was erfunden und was vorgefunden wurde, so ein Roman entwickelt ein Eigenleben und mir kommt er manchmal wie das richtige Leben vor. Dabei weiß ich doch, dass ich zwar vom Leben abgeschrieben habe, aber dass der Roman dennoch stets Fiktion bleibt.

Aber jede Fiktion hat als Ausgangspunkt ja doch die Realität, und die Geschichte wirkt so nachvollziehbar, dass man alles für echt halten kann. Verfolgen Sie mit dem Buch eine Absicht hinsichtlich der Haltung der Leser?

Ich verfolge keine Absichten, ich will niemanden erziehen, schon gar nicht politisch. Politische Meinungen vertrete ich in meinen politischen Kommentaren. In einem Roman aber ist die Politik nur insoweit wichtig, als sie den Beteiligten oftmals sehr schmerzhaft auf die Füße fällt.

Auffällig finde ich, dass Sie nie eindeutig Position beziehen und dass alle inneren Einstellungen der Figuren sowie ihr Umgang mit den Umständen nachvollziehbar und verstehbar sind. Wollten Sie möglichst neutral bleiben?

Ich empfinde das als großes Kompliment, dass ich mich als Autorin offenbar so gut zum Verschwinden gebracht habe, dass Sie mich nicht wiedergefunden haben! Im Ernst: Es ist fatal, wenn der Autor klüger sein will als seine Figuren und sie und die Leser belehren möchte. Ich habe mich, meine Meinung, meine Kenntnisse und meine Sprache der Erzählung und ihren Protagonisten untergeordnet. Natürlich wissen wir heute, wie die Geschichte ausgegangen ist, aber die damals wussten es eben nicht. Deshalb habe ich mich bemüht, immer auf Augenhöhe zu bleiben. Nur dann ist man glaubhaft.

 Wie politisch sind Sie im wahren Leben? Ihre Promotion über die Sozialdemokratie kam ja sicher nicht von ungefähr...

Ich beschäftige mich, seit ich elf oder zwölf Jahre alt bin, mit Politik, mehr und mehr zu meinem Leidwesen. Meine Dissertation hatte ein damals zeittypisches Thema, sie wäre allerdings keine wissenschaftliche Arbeit, wenn Leidenschaft oder Anliegen das Interesse an der Erkenntnis dominiert hätten.

Wie nah ist das Buch mit all seinen Problemstellungen an der heutigen Zeit? Wie sehr ist der Einzelne gefordert, sich zu positionieren?

Darüber möge der Leser nachdenken. Ich schreibe da niemandem etwas vor.

Welchen Ihrer Roman-Charaktere mögen Sie besonders, in welchem finden Sie sich womöglich selbst wieder?

Ach, ich liebe sie doch alle ... allerdings anders als der alte Erich M.: Ich mag an meinen Charakteren, dass sie so widersprüchlich und oft auch durchaus unsympathisch sind. Wie Margo mit ihrer Tochter Leonore umgegangen ist – skandalös! Dass Helene so ohne eigenen Willen zu agieren scheint, als sie als „Kundschafterin des Friedens“ auf Margo angesetzt wird, ist auch nicht gerade edel. Und Alard? Er ist schon ein bisschen ein Weichei, denke ich manchmal. Nebenfiguren wie Otto Werner oder Henri Seliger mag ich allerdings ohne Einschränkungen. Wer am ehesten mit mir selbst zu tun hat, wäre wohl Leonore.

Welcher der im Buch vorkommenden Orte war Ihnen vertraut, welchen haben Sie sich durch Recherche erschlossen? Viele Beschreibungen wirken ja, als kennten Sie die Gegebenheiten sehr gut...

Stendal kannte ich vorher nicht, ich war ganz hingerissen von der Stadt – und auch von Tangermünde. Meine Tante hat Stendal nicht sofort, aber später lieben gelernt – und das habe ich nach meinen Besuchen dort sehr gut nachvollziehen können. Sehr geholfen hat mir Ina Nitzsche im Stadtarchiv, aber vieles muss man sich natürlich zu Fuß erschließen. Osnabrück kenne ich halbwegs, da bin ich aufgewachsen, aber auch Berlin habe ich zu Fuß erobert – und mit der Hilfe lieber Freunde, die in der „Hauptstadt der DDR“ gewohnt haben.

 Wie mühsam ist so eine Recherche, die ja möglichst geschichtstreu sein soll?

Wenn man den Ehrgeiz hat, dass die Geschichte zwar erfunden ist, die Details aber stimmen müssen, ist die Recherche sehr aufwendig. Ich habe drei Jahre lang an dem Buch gearbeitet.

Es gibt von Ihnen Sachbücher, Beiträge in politikwissenschaftlichen Veröffentlichungen, Krimis, Katzengeschichten sowie eine Abhandlung über die Liebe. Und nun einen Roman, in dem sich all das zu vereinen scheint: Zeitgeschichte, Politik, Spannung, Liebesgeschichte und schließlich auch Katzen. War das Buch also längst mal fällig, um alles zueinanderzuführen oder ist das Zufall?

Ich glaube, ich habe all die Jahre nur geübt, um dieses Buch zu schreiben, ein absolutes Herzensbuch, eine Liebeserklärung, an Städte und Menschen, an die ältere Generation und – ja: auch an Deutschland.

Cora Stephan kommt zu zwei Lesungen nach Stendal: Die am 10. Juni ist schon ausverkauft; Karten gibt es noch für Sonnabend, 11. Juni, 11 Uhr im „Kaffeekult“ Stendal. Karten in der Buchhandlung Genz: Tel. 03931/21  22  44.