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Wahlfälschung Prozessauftakt ein Zuschauermagnet

Der Prozess gegen den ehemaligen CDU-Stadtrat Holger Gebhardt hat vor dem Stendaler Landgericht begonnen. Das Interesse war sehr groß.

Von Thomas Pusch 11.01.2017, 00:01

Stendal l Dienstag, kurz nach 8 Uhr vor dem Landgericht. Jürgen Roswandowitz und Gerd Finger kommen mit Rädern angefahren. Sie wollen den Auftakt im Wahlfälschungsprozess gegen Holger Gebhardt live miterleben. „Ich erwarte eine weitere Aufklärung und glaube nicht, dass nur eine einzelne Person daran beteiligt war“, meint Roswandowitz. Klare Worte würden zur Beruhigung der allgemeinen Lage beitragen. Finger ist enttäuscht von dem Wahlbetrug. „Ich war so ein begeisterter Wähler, aber das ist jetzt weg, ob es wiederkommt, weiß ich nicht“, gesteht er. „Ich bin heute hier, weil Holger Gebhardt mein Kumpel ist“, sagt Steffen Roske. Der Angeklagte war sein Betreuer im Jobcenter. „Er bleibt mein Freund, aber wenn alles stimmt, was ihm vorgeworfen wird, muss er bestraft werden“, findet Roske.

Es sind besondere Sicherheitsvorkehrungen angeordnet worden. Alle Besucher müssen ihre Taschen entleeren, durch eine Sicherheitsschleuse wie am Flughafen gehen, manche werden noch nachkontrolliert. Keine besonderen Vorkommnisse.

Um kurz vor halb neun ist der Flur vor Saal 218 schon recht gut gefüllt. Unter den Wartenden ist auch CDU-Kreistagsmitglied Thomas Staudt. „Ich möchte mir das persönlich ansehen und nicht nur über Dritte erfahren, was vor sich geht“, sagt er. Und ein Besucher, der ungenannt bleiben möchte, findet es erstaunlich, „dass in einer provinziellen Gegend wie hier so etwas gemacht wird, das legt den Verdacht nahe, dass dort, wo es richtig um Macht geht, erst recht gemauschelt wird“.

„Wir haben gestern noch einmal aufgestuhlt, es sind jetzt 69 Plätze für die Öffentlichkeit und 13 für die Medien“, sagte Gerichtssprecher Michael Steenbuck. Und die werden fast alle besetzt, nachdem die Tür zum Saal um zehn vor neun geöffnet worden ist. Staatsanwältin Annekatrin Kelm sitzt noch ganz entspannt im Flur und liest Zeitung. Kurz vor neun betritt Holger Gebhardt mit seinem Anwalt den Flur, haucht den Fotografen ein „Guten Morgen“ zu und geht dann fast unbemerkt zu seinem Platz auf der Anklagebank.

Kurz nach neun Uhr, die Vorsitzende Richterin Simone Henze-von Staden fordert die Fotografen auf, das Fotografieren einzustellen und Platz zu nehmen. Es kehrt Ruhe ein. Die Staatsanwältin verliest die Anklageschrift, Gebhardt schaut dabei konzentriert in ihre Richtung. Dann stellt Henze-von Staden, die Frage, ob sich Gebhardt äußern will. Er will, und zwar in Form einer Erklärung, die sein Rechtsanwalt verliest. Es ist ein umfassendes Geständnis, das aber auch auf den Druck hinweist, unter dem Gebhardt durch den Kreisvorsitzenden Wolfgang Kühnel gestanden habe. Er wollte ihm beweisen, dass er viele Stimmen für die CDU werben kann, die Schuld wolle er aber nicht auf Kühnel abwälzen, die volle Verantwortung übernehmen. Nach einer Viertelstunde ist die Erklärung verlesen, Fragen sollen erst zu einem späteren Zeitpunkt beantwortet werden. Die Vorsitzende Richterin ordnet eine zehnminütige Pause an, Fenster werden geöffnet, frische Luft zieht in den Saal.

Natürlich ist das Gesprächsthema Nummer eins unter den Besuchern das Geständnis. „Das muss man ihm hoch anrechnen“, meint einer, „er konnte jetzt nicht mehr anders“, sagt ein anderer. „Für mich ist es damit noch nicht erledigt“, stellt Dietrich Schlieker fest, „Gebhardt mag zwar ein willfähriger Erfüllungshilfe gewesen sein, aber er war nie und nimmer allein beteiligt.“

Kurz wird die Verhandlung fortgesetzt, um 10.04 Uhr ist Schluss. Renate Gruhn und Gisela Eisermann wollen auch beim nächsten Verhandlungstag dabeisein. „Es geht doch um unsere Demokratie“, begründet Gruhn. Außerdem werde das Urteil im Namen des Volkes gesprochen, also müsse das Volk doch auch dabeisein. „Ich bin sehr angetan, wieviele Zuschauer heute dabeiwaren“, meint Eisermann. Mit so viel Interesse hätte sie nicht gerechnet, allerdings: „Wenn man diesen Prozess nicht verfolgt, welchen dann?“