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Ausgrabung Die Urnen werden eingegipst

Bei der aktuellen Ausgrabung auf dem Stendaler Krankenhausgelände sind erneut Urnen aus vorchristlicher Zeit gefunden worden.

Von Donald Lyko 28.03.2017, 02:00

Stendal l Während einige Meter entfernt im Krankenhaus aus medizinischen Gründen eingegipst wird, rühren dieser Tage auf der Baufläche daneben auch die Archäologen Gips an. Denn von den zwölf Bestattungen, die sie in den vergangenen Monaten gefunden haben, sind sechs Urnen so gut erhalten, dass sie im Block geborgen werden können. Sie wurden und werden freigelegt und eingegipst, um unbeschadet den Transport zum Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Halle zu überstehen.

In zwei weiteren Fällen sind die Urnen so stark beschädigt, dass nur noch einzelnen Scherben geborgen werden konnten. Zudem gibt es Bestattungen, auf die nur die Inhalte der Urnen (Leichenbrand mit Knochenstücken) hinweisen, denn sie selbst gibt es nicht mehr. Das organische Urnenmaterial, Leder oder Holz, hat sich im Laufe der Jahrhunderte, ja sogar Jahrtausende, zersetzt. Von einem dieser organischen Gefäße haben die Archäologen zumindest einen Keramikdeckel gefunden. Einen Grund, warum so unmittelbar unter den mittlerweile abgerissenen Gebäuden so viele Urnen die Zeit überstanden haben, sieht Grabungsleiter Matthias Lindemann in der Bautechnik Ende des 19. Jahrhunderts. „Damals wurde noch nicht so tief ausgekoffert wie heute.“

Allein seit 1990 gab es im Zusammenhang mit der regen Bautätigkeit auf dem Areal mehrere Ausgrabungen. Die aktuelle ist die fünfte seither. Und bei jeder Ausgrabung wurden Urnen gefunden. „Wir haben jetzt also die logische Fortsetzung“, sagt Lindemann. Mit den jetzigen sind zusammen 338 Bestattungen für dieses Gebiet dokumentiert, gesichert wurden 225 Urnen. Sie stammen aus der Zeit zwischen 1000 v. Chr. bis etwa 600 n. Chr., also zwischen der späten Bronzezeit bis zur römischen Kaiserzeit. „Da hat es Stendal als Stadt noch lange nicht gegeben“, sagt Lindemann. Die Vielzahl der gefundenen Bestattungen deute jedoch darauf hin, „dass dieser Bereich sehr gut besiedelt war, dass er attraktiv für eine Besiedlung war“, erklärt der Archäologe. Die Vermutung liege nah, dass auf dem Gräberfeld die Verstorbenen mehrerer Siedlungen beigesetzt wurden.

Ein besonders gutes Stück ist eine Urne mit Deckschale, die bis zum Rand vollständig erhalten ist. Zeitlich ordnen die Fachleute sie in die vorrömische Eisenzeit ein, etwa 6. bis 4. Jahrhundert v. Chr.

„Und wir wissen sogar schon, dass sich darin eine Metallbeigabe befindet“, erklärt der Grabungsleiter. Dies sei mittels einer Sonde ermittelt worden. Es könnte eine Bronzenadel sein oder ein anderes damals übliches Schmuckstück, etwa eine Fibel. „Amtshilfe“ gab es zudem von den Mitarbeitern der Radiologie, die einen Röntgenblick in einige der eingegipsten Urnen geworfen haben.

„Die Fundstücke sind zwar Schätze, aber in erster Linie Informationsträger“, stellt Matthias Lindemann klar. Er, Grabungszeichnerin Diana Dahlke und Grabungsarbeiter Torsten Herm bergen die Fundstücke, die genaue Untersuchung erfolgt dann in Halle. Matthias Lindemann beschreibt ihre Arbeit als „Übertragung des Bodenarchivs ins schriftliche/digitale Archiv“. Beim Inhalt der Urnen kann zum Beispiel untersucht werden, ob in einer Urne nur die Überreste einer Person oder von mehreren Personen beigesetzt worden sind, bei ausreichend Knochenmaterial lässt sich zudem das Geschlecht bestimmen.

Nachdem Ende des vergangenen Jahres der letzte Altbau des Krankenhauses abgerissen worden war, sind seit Februar dort die Archäologen beschäftigt. Am Freitag beenden sie wie geplant ihren Einsatz. Dann können die Bauarbeiten für den Krankenhaus-Neubau starten, für den 14. Juni ist der erste Spatenstich geplant. Es entsteht ein fünfgeschossiges Gebäude, in das unter anderem die Frauen- und Kinderklinik umziehen wird, die derzeit ihren Standort an der Bahnhofstraße hat.