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Flüchtlinge „Das Herumsitzen ist schlimm“

Der Syrer Yasser Dabour lebt mit seiner Familie seit einem Jahr in Stendal - ein Besuch.

Von Bernd-Volker Brahms 20.11.2015, 00:01

Stendal l Das Schlimmste sei das Herumsitzen, sagt Yasser Dabour. Der 42-Jährige Syrer war in seiner Heimat Friseur. Gearbeitet hat er oft von morgens neun bis um Mitternacht, sagt er. „Für mich ist es richtig schlimm, nur Zuhause zu sein.“ Das Zuhause ist jetzt eine kleine Wohnung in der Stendaler Stadtseeallee. Zusammen mit seiner Frau und den vier Kindern lebt er seit einem Jahr in Stendal. Vor den Kriegswirren in Syrien sind sie im Dezember 2012 geflohen. Beheimatet waren sie in einem Vorort von Damaskus.

Die älteste Tochter Khadija ist elf Jahre, sie erzählt beim Besuch der Volksstimme, wie gerne sie zur Schule geht. Der Deutschunterricht und Sport machen dem fröhlichen Mädchen am meisten Spaß, sagt sie in einem passablem Deutsch. Sie geht seit den Sommerferien zur Juri-Gagarin-Schule.

Auch der Vater bemüht sich um seine Sprachkenntnisse. Er gehe in die Moschee, wo sich andere Syrer treffen, um sich gegenseitig Deutsch beizubringen. Dies sei das Einzige, was er jetzt machen könne, lässt er durch einen Dolmetscher beim Volksstimme-Gespräch sagen. Es dauere lange Zeit, bis er einen richtigen Deutschkurs bekommen könne. „Zuhause sein, ist richtig schlimm“, sagt er.

Viel Zeit zum Herumsitzen hat Momen Aleed noch nicht gehabt. Der 33-Jährige ist ebenfalls Syrer und ist erst seit Anfang August in Stendal. Man sieht dem Mann, der in der Gemeinschaftsunterkunft am Möringer Weg wohnt, die Strapazen der vergangenen Monate an. Mitte November 2013 hat er seine Heimatstadt Dara im Südwesten Syriens verlassen. Mit der Familie – seiner Frau, drei Kindern (2, 4 und 6 Jahre) und den betagten Eltern – konnten sie sich in Jordanien in Sicherheit bringen. Er selbst nahm später die gefährliche Route mit dem Boot übers Mittelmeer in die Türkei auf sich. Er habe einem Schlepper umgerechnet 11 000 bis 12 000 Euro bezahlen müssen. „Mein Ziel war Österreich“, lässt er über den Dolmetscher sagen.

Auf dem Handy zeigt Momen Aleed Bilder seiner Familie und auch von der zerstörten Heimatstadt, wo er als Kaufmann gearbeitet hat. Er war spezialisiert auf die Kaffeeproduktion.

Jeder Flüchtling hat eine andere Geschichte zu erzählen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie oft Jahre unterwegs waren, bis sie in Deutschland angekommen sind. Momen Aleed kam über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich bis nach München. Am liebsten möchte er seine Familie über die selber Route nachholen. Es gebe diese quälende Ungewissheit, ob das überhaupt klappen kann. „Ich telefoniere jeden Tag mit meiner Frau“, sagt der groß gewachsene hagere Mann. Auch er geht viermal in der Woche in die Moschee, um Deutsch zu lernen. Es ist ein Gebetsraum in der Friedrich-Ebert-Straße. „Ich kannte niemanden in Stendal, als ich ankam“, sagt er. Die Deutschübungen helfen, die Langeweile und die Unruhe in den Griff zu kriegen. Gleichzeitig kann gebetet werden. Das ist den Männern wichtig.

„Ich kann nicht schlafen, mache mir Sorgen um die Familie“, sagt er. Die Bomben aus der Luft und die Willkür haben ihn zur Flucht getrieben. Eine Zeit hat er in der Wüste gelebt, dort sei man noch am sichersten gewesen.

„Die Angst war allgegenwärtig“, sagt auch Yasser Dabour. „Es wurden Leute einfach abgeholt und man hat sie nie wieder gesehen“, sagt der vierfache Familienvater. Sein Fluchtweg führte ihn über Ägypten, Malta und Italien bis nach Deutschland. „Wenn ich in Syrien geblieben wäre, wäre ich jetzt tot“, vermutet er. Auf der Überfahrt nach Malta hatten sie mit 450 Menschen in einem völlig überfüllten Boot gesessen. „Wir mussten viel Geld bezahlen“, sagt er. Im Lager auf Malta habe die Polizei brutal auf die Menschen eingeschlagen.

„Ich vermisse meine Heimat“, sagt Yasser Dabour. Allerdings sei ihm auch klar, dass es die nächsten Jahre keine Möglichkeit gebe, zurückzugehen. Das letzte Stück Heimat, was er und die Seinen nach Stendal holen können, sind ihre Kochkünste. Beim Besuch gibt es für den Gast Mamoul – arabische Dattelkekse.