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Freiluft-Aktion Tanzend gegen Gewalt

Die Tanzaktion "One Billion Rising" findet am 14. Februar auch in Stendal statt. Sie richtet sich gegen Gewalt an Frauen und Kindern.

Von Nora Knappe 26.01.2017, 00:01

Stendal l Man muss kein Profitänzer sein, um bei der Tanzaktion „One Billion Rising“ (Eine Milliarde erhebt sich) mitzumachen. Man muss nur vielleicht ein bisschen Mut haben – Mut, sich in einer großen Gruppe in der Öffentlichkeit zu Musik zu bewegen und damit zu signalisieren: Gewalt gegen Frauen und Kinder ist nicht normal, nicht harmlos und nichts, was man hinnehmen müsste.

Am 14. Februar findet „One Billion Rising“ jährlich weltweit statt, Stendal ist auf Initiative des Kreissportbundes und der Projektgruppe „Gemeinsam gegen Gewalt“ zum dritten Mal dabei: Hier wird an jenem Tag um 12.30 Uhr auf dem Sperlingsberg getanzt. Mit dieser andersartigen Demonstration soll ein Zeichen gegen Gewalt vor allem an Frauen gesetzt werden. Die eine Milliarde ist dabei keine beliebige Zahl, wie die Organisatoren erklären: „Jede dritte Frau weltweit war bereits Opfer von Gewalt, wurde geschlagen, zu sexuellem Kontakt gezwungen, vergewaltigt oder in anderer Form misshandelt. Jede dritte Frau, das sind eine Milliarde Frauen, denen Gewalt angetan wird.“

Was ist also die kleine Portion Mut, die die Mittänzer in Stendal womöglich aufbringen, gegen das stille Leid, das viele Frauen oft mit sich selbst ausmachen. Die von ihrem Partner nicht nur körperlich angegangen werden, sondern auch seelisch gequält und oftmals ganz subtil unter Druck gesetzt werden: durch Drohungen, durch finanzielle Abhängigkeit, durch Einschüchterung und soziale Isolation.

Und ihre Kinder erleben all das mit, fühlen sich hilflos und nicht selten mit schuld. „In jeder Schulklasse sitzen garantiert ein oder zwei Kinder, die selbst Gewalt erfahren müssen oder zusehen, wie ihre Mutter gedemütigt wird“, berichtet Janin Schlieker von der Projektgruppe „Gemeinsam gegen Gewalt“. Die akute Gewaltsituation mit ansehen und anhören zu müssen, stelle für Kinder und Jugendliche eine „enorme Belastung, Verunsicherung und Überforderung dar. Sie reagieren mit Panik, Schock, Verwirrung, Lähmung und je nach Häufigkeit der Gewaltsituationen auch mit Gleichgültigkeit oder Kälte.“

Auch deshalb also, weil Kinder zu den unmittelbar Betroffenen zählen, sind am 14. Februar in Stendal viele Schulklassen dabei: rund 500 Mädchen und Jungen aus neun Stendaler Schulen. Und sie werden nicht nur mittanzen, sondern beschäftigen sich in den Wochen zuvor im Unterricht mit den Themen häusliche Gewalt, sexueller Missbrauch und der Prävention. „Es ist wichtig, dass Kinder Wissen und ein Gefühl für dieses Thema haben, denn meist sind sie es, die die Eltern darauf hinweisen, wenn bestimmte Dinge falsch sind. Und oft sind es die Kinder, die die Polizei rufen“, so Schlieker.

Häusliche Gewalt komme in allen sozialen Schichten vor – unabhängig von Bildungsstand, Einkommen, gesellschaftlichem Status, Kultur, Herkunft oder Alter. In Sachsen-Anhalt gab es im Jahr 2015 429 Einsätze wegen häuslicher Gewalt, 100 Einsätze wegen Stalking und ebenso viele wegen Kindeswohlgefährdung. „Die Dunkelziffer ist aber um ein Vielfaches höher“, sagt Janin Schlieker.

Auch wenn die Tanzaktion von dem ein oder anderen belächelt werden mag – den Initiatoren geht es neben der Freude und Wirksamkeit der gemeinsamen Aktion um den ernsten Hintergrund. „‚Mein Körper gehört mir‘ heißt eine Zeile in dem Lied, das wir singen“, sagt Elfi Baumann vom Kreissportbund. „Und das ist so! Keiner hat das Recht, mir etwas anzutun, und ich habe das Recht, aufzustehen, wenn etwas nicht in Ordnung ist.“

Wer als Betroffener Hilfe braucht, der findet im Landkreis Stendal zahlreiche Anlaufstellen: vom Weißen Ring über das Frauenhaus und den Verein Miß-Mut bis zum Polizeirevier. Auch darüber soll es am 14. Februar Informationen geben. „Wir machen das Thema öffentlich und zeigen, dass sich niemand, der Gewalt erfahren oder miterlebt hat, verstecken muss“, verdeutlicht Annett Kuckuck, ebenfalls in der Projektgruppe „Gemeinsam gegen Gewalt“ aktiv. „Man kann sich trauen, darüber zu sprechen.“

Wer am 14. Februar noch nicht den Mut hat, darüber ins Gespräch zu kommen oder mitzutanzen, der kann sich an den Infoständen auch einfach das ein oder andere Faltblatt mitnehmen. Oder einen der 300 roten Luftballons in den Himmel steigen lassen, die auf dem Sperlingsberg verteilt werden.