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Freispruch Enkel soll seine Oma erpresst haben

Ein Vater hatte seinen Sohn wegen Erpressung der eigenen Großmutter angezeigt. Vor Gericht schwiegen alle drei. Es gab einen Freispruch.

Von Wolfgang Biermann 24.10.2016, 23:01

Stendal l Im Volksmund heißt es, wo kein Kläger, da kein Richter – und somit auch keine Strafe. Im übertragenen Sinn abhanden gekommen sind in dieser Woche vor dem Amtsgericht drei Zeugen, die einen 22-Jährigen aus einem Ortsteil von Osterburg bei der Polizei einer schweren Straftat beschuldigt hatten. Der junge Mann war von seinem eigenen Vater wegen einer ungeheuerlich scheinenden Tat angezeigt worden. Er soll am 5. Mai dieses Jahres seine eigene Großmutter bedroht, geschlagen und erpresst haben. Laut Anklage forderte der Enkel am Tattag 250 Euro von der mit ihrem Ehemann im gemeinsamen Haushalt mit ihren Kindern und dem Enkel lebenden Oma.

Wenn sie ihm das Geld nicht gebe, würde er „ein paar Jungs vorbei schicken“. Als die 80-Jährige der Forderung nicht nachkam, soll er zunächst einen Wohnzimmerschrank umgekippt und dann der Großmutter einen Schlag gegen die linke Wange versetzt haben. Daraufhin soll die Oma ihrem Enkel die 250 Euro gegeben haben. Vor Gericht wollte sich der wegen räuberischer Erpressung angeklagte 22-Jährige „zunächst nicht äußern“. Er wolle erst die Aussagen der Großeltern und seines Vater abwarten, so sein Verteidiger. Doch sowohl der Vater (56) als auch Oma und Opa (83) machten von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch.

„Ja, Schweigen kann Gold wert sein, wie in diesem Fall“, sagte Thomas Schulz, Vorsitzender Richter des Schöffengerichtes. Aufgrund der Aussageverweigerung durften aus strafprozessualen Gründen zudem die von den drei Zeugen bei der Polizei gemachten Aussagen nicht verwendet werden. Und auch die vernehmenden Polizeibeamten durften nicht vor Gericht aussagen. Das Aussageverweigerungsrecht, das jeder nahe Verwandte eines Angeklagten besitze, dürfe demnach „nicht durch Anhörung der Vernehmungsbeamten umgangen werden“.

Eine Ausnahme bestünde, wenn ein Richter im Ermittlungsstadium die Zeugen vernommen hätte. Doch eine richterliche Vernehmung gab es nicht. Und so blieb im Dunkeln, ob die Tatvorwürfe stimmen und, wenn ja, was die möglichen Motive des Angeklagten waren. Diesmal sei er „noch einmal davongekommen“, aber es gebe noch andere Instanzen, vor denen er sich verantworten müsse, sagte die Staatsanwältin und meinte wohl das interne „Familiengericht“. Ihr kurzes Plädoyer schloss sie mit: „Es bleibt mir nichts anderes, als Freispruch zu beantragen.“

Der folgte denn auch auf dem Fuße. Richter Schulz sagte abschließend, dass es laut Strafanzeige und Aussage der Oma vor der Polizei einen hinreichenden Tatverdacht gegeben habe. Und der habe die Eröffnung des Prozesses gerechtfertigt.