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Historisch Als Männer noch gern sangen

Im 19. Jahrhundert herrschte in Stendal ein wahrer Chor-Boom. Männer gründeten zahlreich Gesangsvereine.

Von Nora Knappe 13.04.2017, 01:01

Stendal l Während man heutzutage in den meisten Gesangsformationen dringlich auf Männerstimmensuche ist, schien das früher kein Problem gewesen zu sein. Im Gegenteil: Musikmachen, so suggeriert ein Blick in die Archivdokumente, war offenbar sogar eine reine Männerdomäne.

Die Hochzeit der organisierten Musik in Stendal liegt demnach in der Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts. Vor allem gesungen wurde anscheinend gern. 1846 hat sich (und zwar als einzig verzeichneter gemischter Chor!) der Bürger-Gesang-Verein gegründet, im Jahr darauf die „Allgemeine Liedertafel“ („sanges- und schaffensfreudige, von deutschem Gemüth und Geist erfüllte Männer“) – die wiederum ihren Vorläufer durch ein Programmheft von 1835 ausfindig machte. Alsdann wurde 1849 das „1. Altmärkische Gesangsfest“ veranstaltet, gründete sich 1854 ein „Männergesang-Verein“, vier Jahre später der Verein „Liederkranz“ und 1874 das „Sänger-Kränzchen“.

1898 schließlich tritt der „Rechtenbach‘sche Männer-Gesangsverein“ in Erscheinung, dessen Statut gleich in Paragraph 1 Auskunft über den Zweck des Vereins gibt, nämlich „durch Erlernung guter Lieder den deutschen Männergesang zu fördern und zu leben“. Und um einem ungewollten Abdriften in andere inhaltliche Gefilde vorzubeugen, wurde deutlich gemacht: „Politik darf weder in den Versammlungen noch in den Übungsstunden getrieben werden.“

1880 kam zu den vielen Sangesfreudigen eine aus heutiger Sicht wohl extravagante Instrumentalgruppe hinzu: der „Stendaler Zitherklub“. Sein Gründungszweck lag darin, „in Stendal mehr und mehr das Interesse für Zithermusik zu erwecken“. Auch er hatte seine per Statut festgelegten Regularien, die unter anderem die Beschaffung und Lagerung der Saiten umfasste. Demnach mussten die „Baßsaiten aus übersponnener Seide, die Begleitungssaiten aus übersponnenem Metall hergestellt sein“. Und: „Über die Tonhöhe bestimmt die Generalversammlung. (...) Die Saiten werden vom Vorsteher im Vereinslokale aufbewahrt.“

Mehr als eine ganze Zeitungsseite räumte das Altmärkische Intelligenz- und Leseblatt im Juli 1914 dem Bericht über die 50-Jahr-Feier des Elb-Havel-Sängerbundes in Verbindung mit dem 17. Gesangsfest in Stendal ein. Euphorisch und ausführlich wird über den Begrüßungsabend, die Gedenkfeier, den Festzug und das Hauptkonzert am Sonntag geschrieben. Die Vorfreude auf das große Ereignis erfüllte die Stadt hörbar: „Die Gaststuben, wo sonst die Ereignisse in Stadt, Staat und Welt trockenen Gesprächsstoff liefern, beherrschte froher Gesang. Selbst auf die Straßen und die offenen Gärten wagte er sich hinaus bis in die späte Nacht, so daß die Polizei ihre liebe Not hatte, sich beide Ohren zuzuhalten. Auch der griesgrämigste Einwohner würde es nicht übelgenommen haben, wenn er um Mitternacht aus dem Schlaf gesungen wäre, denn ganz Stendal freute sich der frohen Stimmung der Sänger, denen es offenbar behagte in unserer Stadt.“

Kleine Randnotiz zwei Spalten weiter: „In Haft genommen wurde gestern kurz vor dem Festzuge ein Betrunkener, der jedoch kein Sänger war. Er hatte skandaliert und die Passanten belästigt. Zwei Schutzleute schleppten ihn in nicht gerade sanftester Weise nach der Polizeiwache.“