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Junge Migranten Der fatale Sog in die Billigjobs

Altmärkische Unternehmen suchen Arbeitskräfte - junge Migranten suchen Arbeit. Eine Stendalerin will beide zusammenführen.

Von Nora Knappe 08.04.2017, 01:01

Stendal l Mechthild Bleuel versteht sich mehr als nur als Leiterin einer Sprachschule. Und darum hat sie ein Herzensanliegen, das sie in einen deutlichen Appell an hiesige Firmen münden lässt: „Jammert nicht über die, die die Altmark verlassen, sondern kümmert euch um die, die hierbleiben!“ Und mit „die“ meint sie zwar auch hier Geborene, aber aus ihrer Arbeit mit Migranten resultierend insbesondere die Hergekommenen. Denn deren dauerhaft erfolgreiche Einbindung in den Arbeitsmarkt scheint eine schwierige Sache zu sein.

Sei es die abschreckende Bürokratie, seien es die befürchteten Sprach-schwierigkeiten oder seien es auch schlichtweg Klischees, vor denen nun mal niemand gefeit ist. Es sei denn, er kommt persönlich in Kontakt mit den Menschen, um die es Mechthild Bleuel geht. Und diesen Kontakt will sie anbahnen – nicht für unverbindliche Plaudereien, sondern ganz ernsthaft für berufliche und unternehmerische Perspektiven.

„Auch wenn das Wort Fachkräfte in Verbindung mit Migranten manchmal ja einen abwertenden Unterton bekommt, ist aber doch Tatsache, dass die altmärkischen Firmen Fachkräfte brauchen.“ Und Bleuel hat diese potenziellen Arbeiter jeden Tag vor Augen: In den speziellen Jugend-Integrationskursen in ihrer Stendaler Sprachschule Inlingua sitzen derzeit etwa 60 junge Leute bis 27 Jahre, die „hoch motiviert, interessiert und an Ausbildungen interessiert sind“, sagt Bleuel. Junge Leute, die nach vier, fünf Jahren Flucht-Odyssee in Stendal gestrandet sind.

Viele von ihnen haben keine Berufsausbildung, aber wollen außer Deutsch etwas lernen: „Es gibt vielfältige Interessen, zum Beispiel für die Bereiche Elektrik, Maler, Zahntechnik oder Bäcker“, hat Bleuel erfragt.

Der Haken an der Sache: Anders als in Deutschland gebe es zum Beispiel in Syrien kein Ausbildungssystem. „Entweder man studiert, dann ist man was, oder man geht halt zum Onkel arbeiten. Aber hier brauchen wir auf Dauer keine Gelegenheitsarbeiter, und die Unternehmer müssen verstehen, dass Fachkräfte nicht vom Himmel fallen.“ Bei Betriebsbesichtigungen und Praxisphasen im Rahmen des Sprachkurses habe sich zudem gezeigt, dass die Betriebe positiv überrascht waren vom Interesse der jungen Leute und davon, „dass sie ja eigentlich ganz normal sind“, gibt Bleuel erfreut wieder.

Sie möchte daher die hiesigen Unternehmen für Zuwanderer sensibilisieren und ihnen mit Hilfe zweier Referenten in einem kurzen Workshop am 13. April aufzeigen, um was für Leute mit welchem beruflichen Potenzial es sich handelt, wie sie mit ihnen in Kontakt kommen können, wer bei Formalitäten und Ämtergängen hilft, Tipps für die Integration im Unternehmen geben. Den Migranten sei oftmals gar nicht klar, dass es auch in der Altmark attraktive Arbeitgeber gibt und sie nicht in Ballungsräume ziehen müssen.

Sie möchte also einem fatalen Sog entgegenwirken: Dass nämlich diese jungen Leute ihren Sprachkurs abbrechen, um Billigjobs anzunehmen. „Dann kehren sie nicht in den Sprachkurs zurück, gehen in unqualifizierten Jobs unter.“