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Marcus Graubner Ein Unbequemer lebt das Ehrenamt

Seit Jahren mischt er in der Politik mit, streitet um die Rechte der Behinderten. Jetzt ist er 50: Marcus Graubner.

Von Rudi-Michael Wienecke 12.02.2017, 00:01

Tangerhütte l Wie kaum ein anderer Stadtrat kämpft Marcus Graubner für den Erhalt des Tangerhütter Kulturhauses. Für diese Sache legt er sich regelmäßig mit dem Bürgermeister an, streitet mit der Verwaltung. Logisch, dass der „Unbequeme“, der am Mittwoch 50 Jahre alt wurde, diesen runden Geburtstag heute nun auch im Kulturhaus mit einem Sektempfang feiert. Eingeladen sind sowohl politische Mitstreiter als auch Widersacher. Zu ersteren dürfte CDU-Parteifreund und Landrat Carsten Wulfänger gehören. Aber auch Bürgermeister Andreas Brohm wird gratulieren. Erwartet werden außerdem viele Vertreter der Behindertenverbände. Schließlich gehört Graubner selbst auf Bundesebene zu den größten Streitern für die Rechte der Behinderten. Sein eigenes Handicap machte ihn zu dem, der er heute ist.

Marcus Graubner wurde am 8. Februar 1967 mit einer spastischen Lähmung geboren. Das Schicksal nahm er an. „Ich hatte keine Chance, darüber nachzudenken, hatte keine unglückliche Phase. Habe immer meine körperlichen Defizite versucht mit Wissen und Energie auszugleichen. Wichtig ist, dass der Kopf funktioniert“, spricht er über seine Jugendzeit. Er absolvierte eine Ausbildung zum Industriekaufmann, gründete 1986 den Stendaler Rollstuhlfahrerclub mit. Das war noch zu DDR-Zeiten ein erster zaghafter Schritt in Richtung eigener Interessenvertretung.

1990 wurde der Allgemeine Behindertenverband in Stendal gegründet, zwölf Jahre später übernahm Graubner dessen Vorsitz. Vom ersten Tage an gehörte er zu jenen, die am lautesten die berechtigten Forderungen nach Barrierefreiheit, Chancengleichheit stellten. „Da wurde mir bewusst, dass man in Politik und Verwaltung starke Partner braucht, um seine Anliegen durchzusetzen. Bestenfalls gehört man zu jenen, die mit entscheiden.“

Der Tangerhütter wurde Politiker, trat 1992 in die CDU ein, saß zwei Jahre später für seine Partei im Stadtrat. Wieder nur ein Jahr später wählte ihn der CDU-Ortsverein zum Vorsitzenden. Diesen Posten gab er allerdings 2014 aus gesundheitlichen Gründen auf, blieb aber im Amt als CDU-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat, das er seit 1999 inne hat.

So kurios es auch klingt, Graubner gehört mit seinen 50 Lenzen gleichzeitig zu den jüngsten und mit mittlerweile 23-jährigem ununterbrochenen Mandat auch zu den ältesten Stadträten der Kommune. Seit 23 Jahren sitzt er außerdem im Kreistag, setzt sich dort im Sozial- und Jugendhilfeausschuss für die Belange der Benachteiligten ein.

Graubner gehört nun zu denen, die mit entscheiden, deren Wort in der Politik Gewicht hat. Und er musste mit Blick die verschiedenen Haushalte feststellen: „Unser Anliegen ist nur ein kleiner Teil eines Gesamtpaketes.“

Diese Anliegen der Menschen mit Behinderungen sind trotz aller Vielschichtigkeit der Politik für Graubner nach wie vor die Hauptanliegen. Deshalb ging es innerhalb der Interessenvertretung für ihn weiter die Karriereleiter bergauf. Er ist Vorsitzender des Kreisbehindertenrates, stellvertretender Vorsitzender des Behindertenverbandes Sachsen-Anhalt und in gleicher Funktion auch im Behinderten-Bundesverband aktiv. Der Tangerhütter nimmt an Anhörungen im Bundestag teil, streitet in Ministerien um die Rechte der Gehandicapten und legt sich auch schon mal mit der Bahn an, wenn der Fahrstuhl für den Stendaler Bahnhof zu lange auf sich warten lässt. „Uns läuft in diesem Punkt die Zeit davon und zwar nicht nur uns, sondern auch Senioren, die auf Gehilfen angewiesen sind oder Müttern mit Kinderwagen“, macht er ungeduldig klar, dass viele Forderungen der Behinderten eigentlich Forderungen der gesamten Gesellschaft sind.

Marcus Graubner ist nicht nur Politiker und Lobbyist der Behinderten, er leitet auch die Selbsthilfegruppe „Frauen nach Krebs“, ist Ehemann und nicht zuletzt als Teamassistent in einer gynäkologischen Praxis beruflich eingespannt. Trotz starker körperlicher Einschränkungen scheint er diese Mehrfachbelastung besser wegzustecken, als die meisten Nichtbehinderten es tun würden.

Marcus Graubner streitet für das Kulturhaus, streitet für Seinesgleichen, streitet für Fremde. Er wird weiter streiten, weiter einer der „Unbequemen“ sein. Er zählt nicht die Stunden im Ehrenamt, er lebt das Ehrenamt. „Das geht nur mit der Familie, einem großen Freundeskreis der mithilft und natürlich nur mit einer verständnisvollen Frau“, bedankt er sich speziell bei seiner Lolita.