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Nach Unfall Lähmung verändert das Leben

Von einem Augenblick zum nächsten änderte sich das Leben von Thomas Rösicke. Nach einem Unfall ist der Stendaler querschnittsgelähmt.

Von Nora Knappe 04.11.2015, 00:01

Stendal l „Du musst sofort kommen. Ich hatte einen Unfall.“ Diesen Anruf am Abend des 20. Juli 2015 wird Janine Rösicke nicht vergessen. Ihr Mann Thomas war wie so oft auf einer abendlichen Rennradrunde unterwegs, die jäh unterbrochen wurde: Verkehrsunfall. Die Verletzungen derart, dass Thomas Rösicke seither ab unterhalb der Brust querschnittsgelähmt ist. Der Unfall passierte eine Woche vor seinem 30. Geburtstag. Zwar kann er sich an das Geschehen nicht erinnern, aber seine Frau Janine staunt noch immer, wie besonnen er versuchte, alles zu regeln, nicht nur sie, sondern auch eine Kollegin und seine Eltern anrief. Dies alles, bevor er ins Unfallkrankenhaus Berlin geflogen wurde, ein Zentrum für Rückenmarksverletzungen, wo man ihn ins künstliche Koma versetzte.

Sechs Wochen lag Thomas Rösicke auf der Intensivstation, weitere Wochen im Klinikum schlossen sich an. Gestern nun ging es endlich in die Reha-Klinik nach Beelitz. „Er hat gute Fortschritte gemacht“, sagt Janine Rösicke, die täglich mit ihm telefoniert, an den Wochenenden immer im Krankenhaus bei ihm war.

Janine Rösicke erzählt diese Geschichte der Zeitung. Denn mit dem Unfall änderte sich vieles im Leben der beiden jungen Stendaler, die vor zweieinhalb Jahren ihre langjährige Liebe zueinander mit dem Eheversprechen besiegelten. Er, 30 Jahre alt, Servicetechniker bei einem Hersteller augenoptischer Messinstrumente, ist leidenschaftlicher Tischtennisspieler und Triathlon-Athlet. Sie, 24 Jahre alt, arbeitet als Sozialpädagogin in einer Tagesgruppe für Kinder und tanzt seit ihrem neunten Lebensjahr beim Verein TV Popcorn – wo ihr Mann wiederum wegen seiner vielfältigen Hilfe zum Ehrenmitglied ernannt wurde.

Diese Facetten werden weiter zum Leben der beiden gehören. Der Arbeitgeber von Thomas hat signalisiert, dass er dort weiter arbeiten kann, das Tanzen im Verein gibt Janine Kraft und in allem nun notwendigen Formular- und Bürokratiegewusel ein Stück Normalität. Was aber auf beide zukommt, sind ganz nüchtern gesprochen enorme Kosten. Auf 100  000 Euro schätzen Rösickes die Kosten für den Umbau des Hauses – Lift und behindertengerechtes Bad in erster Linie. Der Umbau des Autos und die Anschaffung von Trainingsgeräten seien da noch gar nicht eingerechnet.

Vor welchen Hindernissen man steht, wenn man im Rollstuhl sitzt, hat Janine Rösicke selbst ausprobiert. Ist damit durchs Haus gefahren, um zu sehen, ob die Türen breit genug sind, wo Schwellen stören, ob ihr Mann künftig auch in der Küche zurechtkommen kann. Beide sind großgewachsen, die Arbeitsfläche ist sehr hoch. Nachdenklich sagt sie: „Wie anders man alles wahrnimmt im Rollstuhl, wie klein man sich vorkommt.“

Der Alltag von Janine und Thomas Rösicke wird sich verändern. Aber an ihrem Glück als Paar hat der Unfall höchstens kurz gerüttelt. Erschüttert hat er es nicht. „Wir wollen es beide zusammen schaffen“, sagt Janine Rösicke. „Und er ist ja immer noch ganz viel der Thomas, der er vorher war.“ Auch seine innere Stärke, seine Sanftmut und die Lust auf Pläne fürs Leben scheint sich Thomas Rösicke bewahrt zu haben. „Er hat seinen Triathlon-Freunden schon angekündigt, dass er beim nächsten Berlin-Marathon dabei sein will, mit dem Handbike.“

Die Zuneigung zu ihrem Mann, die Gefasstheit und Zuversicht, die Janine Rösicke beim Gespräch ausstrahlt, ist nur in kurzen Augenblicken von tränenfeuchtem Glanz in den Augen begleitet. Ihr ist bewusst: Der Unfall hat ihrem Mann und ihnen beiden ganz viel genommen – aber dennoch wissen sie, dass sie immer noch ganz viel haben. Nicht nur sich und ihrer beider gemeinsame Kraft, sondern auch ihre Familien, Freunde und Bekannte, die ihnen zur Seite stehen und sie immer wieder aufmuntern. So wie Thomas Rösickes Tante, die eine Spendenaktion (siehe Infokasten) initiiert hat und bei der Organisation der Umbauarbeiten hilft.

Oder so wie Elfi Baumann vom TV Popcorn, der die beiden ans Herz gewachsen sind. Als Janine Rösicke die Frage nach dem gemeinsamen Kinderwunsch nur mit Tränen beantworten kann, sagt Elfi Baumann ihr mit einem innigen und festen Blick: „Auch das wird in Erfüllung gehen.“