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Plage Giftraupe bringt zur Verzweiflung

Der Eichenprozessionsspinner ist im Landkreis Stendal seit Jahren virulent. Die Region Seehausen ist besonders stark betroffen.

Von Nora Knappe 17.03.2017, 00:01

Stendal/Seehausen l Nein, es soll keine Drohung sein – es ist ein Hilfeschrei, den Rüdiger Kloth aussendet: „Wenn sich niemand verantwortlich fühlt, dann werden wir den Elbe-Radweg sperren. Zum Schutz der Menschen.“ Dass der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Seehausen dafür bereits ein Schild entworfen hat, rührt nicht aus kreativen Mußestunden, sondern aus Besorgnis. Die Verbandsgemeinde Seehausen sei in besonderem Maße betroffen, der Eichenprozessionsspinner (EPS) beschäftige die Region seit vielen Jahren, „aber nicht in der Art und Weise, wie es jetzt zutage tritt“, sagte Kloth am Mittwoch auf einer gemeinsamen Krisensitzung mit dem Kreisbauernverband in Stendal.

Die Bekämpfungsmaßnahmen hätten bisher nicht gefruchtet, die mehrfach schriftlich geäußerten Hilferufe gen Landesregierung verhallten ungehört und die erhoffte Unterstützung bleibe aus. „Es sollte eine koordinierte Bekämpfung stattfinden, das Landwirtschaftsministerium wollte sich der Sache annehmen, wir wurden sogar als Pilotregion auserkoren“, fasste Kloth die Vorgänge zusammen. Aus all dem sei aber nichts geworden, er vermisse die Koordination zwischen den verschiedenen Ämtern und Institutionen.

Während im Forstbereich die Bekämpfung über den Landeshaushalt finanziert werde, bleibe die Bezahlung der Behandlung von Eichen in und im Umfeld der Ortslagen an den Kommunen hängen. In den letzten sieben Jahren habe die Verbandsgemeinde Seehausen 200.000 Euro in den Kampf gegen die Giftraupe gesteckt – der Erfolg liege bei Null. Aus Kloths Sicht kein Wunder, solange die Bekämpfung nicht flächendeckend erfolge. Landwirtin Constance Thomsen sieht darin sogar Steuergeldverschwendung und zog einen Vergleich: „Wenn ich bei einer Tierseuche nur die Hälfte der Tiere behandle, bringt das doch auch nichts.“

Die Kommunen fühlten sich alleingelassen. „Uns platzt im Norden jetzt der Kragen“, ließ Kloth seinem Unmut am Mittwoch freien Lauf. Darum sei er froh, dass der Kreisbauernverband (KBV) nun mit im Boot sei. „Mensch und Tier leiden“, bekräftigte KBV-Vorsitzender André Stallbaum, „Stroh und sogar Getreide sind von den Nesselhaaren befallen und damit unbrauchbar und unverkäuflich, die Wiesen können für die Weidehaltung nicht genutzt werden.“

Es geht also nicht nur um den Schutz alter Eichenbestände, sondern auch und insbesondere um die Gesundheit der Bevölkerung – und der Touristen, einem äußerst wichtigen Wirtschaftsfaktor für den Norden Sachsen-Anhalts. „Hier ist Gefahr im Verzug“, verdeutlichte Karsten Reinhardt, Bürgermeister der Altmärkischen Wische. „Wollen wir darauf warten, dass Menschen durch einen allergischen Schock zu Tode kommen? Die Brennhaare können bis zu einen Kilometer durch die Luft fliegen!“ Die Raupengefahr spreche sich herum, Touristen mieden die Region schon.

Nicht zuletzt sind die Folgen des Raupenbefalls auch teuer, mahnte Kloth: Eine Apotheke aus der Verbandsgemeinde habe allein im vorigen Jahr 500 Patienten wegen EPS-Symptomen mit Medikamenten versorgt.

Die Zeit drängt. Denn bis die Eichen ihre ersten frischen Triebe und damit frisches Futter für die Raupe des Eichenprozessionsspinners produzieren, dauert es nicht mehr lang. Frank Wiese, Vorsitzender der Landwirte-Fraktion im Kreistag, appellierte dringlich an die Bevölkerung, die vom Landkreis avisierten Sprühmaßnahmen nicht zu behindern. Wie ernst die Lage ist, verdeutlichte er an ganz profanen Dingen: „Draußen Wäsche aufhängen? Geht nicht mehr. Die Brennhaare sitzen in den Klamotten, man juckt sich tot. Nachts das Fenster aufmachen? Geht nicht mehr. Kinder im Freien spielen lassen? Auch das lassen viele Eltern und sogar Kindergärten aus Besorgnis sein.“

Und nun? Noch wartet die Verbandsgemeinde auf Antwort auf das letzte Schreiben vom 21. Februar direkt an den Ministerpräsidenten. Wenn alles nicht hilft, so Kloth, dann fahre er nach Magdeburg ins Ministerium: „Mit einem Raupengespinst samt Eichenlaub.“