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Radfahren Oft eine Frage des Mutes

"Mit dem Rad durch die Stadt" - wo lauern Gefahren, wo ist Gelungenes? Was wird geplant?

Von Nora Knappe 14.07.2016, 01:01

Stendal l Versetzen wir uns für einen Moment in die Rolle eines Autofahrers. Wir fahren durch die Stadt. Kurz nach dem Losfahren müssen wir entscheiden, ob wir auf der Fahrbahn bleiben oder doch lieber einen ruhigeren Seitenweg benutzen, denn so ganz eindeutig ist es nicht, wo die Straße weitergeht, die uns unserem Ziel näherbringen soll. Das Wegweiser-Schild ist auch viel zu klein, um es rechtzeitig entziffern zu können. Also halten wir kurz an, um uns zu orientieren. Probieren dann den ruhigeren Seitenweg. Aber da steht erst ein Baum mitten auf der Fahrspur und dann hört der Weg plötzlich auf. Müssen wir also wieder umdrehen.

Alsbald stehen wir vor der Wahl, ob wir die mit Schlaglöchern übersäte Straße nutzen oder doch eher einen für Autos eigentlich verbotenen, aber schön glattgepflasterten Weg, der parallel zur Straße entlangführt. Nehmen wir zur Schonung von Stoßdämpfer und Wirbelsäule lieber den gepflasterten. Der hat auch so eine interessante rote Farbe, mal was anderes. Doch, ach du je, auf einmal hört die Pflasterung auf und da steht man nun mitten auf dem Weg und will sich wieder in den Straßenverkehr einfädeln. Glück, wenn einen da einer reinlässt. Und noch ehe wir wieder den Puls beruhigt haben, ist da schon das nächste Hindernis: Mitten auf der Fahrbahn parkt doch tatsächlich ein Auto. So ein Idiot!

Das alles geht gar nicht und ist völlig übertrieben? Geht doch und ist gar nicht übertrieben – man muss sich nur aus der Rolle des Autofahrers in die des Radfahrers begeben und schon ist man solcherlei Situationen mehrfach und immer wieder ausgesetzt. „Laut nationalem Radverkehrsplan soll der Radverkehr sicher, komfortabel und zügig laufen, aber das ist meistens gar nicht der Fall“, hat Werner Hartig vom ADFC-Kreisverband Jerichower Land (zu dem auch die Altmark gehört) beobachtet. „Man wird zum Absteigen gezwungen, wird situationsweise gezwungen, zu schieben und so vom Radfahrer zum Fußgänger zu werden – das greift in die Freiheit des Radfahrers ein.“

Woran aber liegt es, dass sich darüber niemand aufregt? Dass eine vernünftige und vor allem sichere Verkehrsführung für Radfahrer entweder vergessen oder ignoriert oder nur halbherzig angegangen wird? Hartigs Einschätzung: „Viele Kommunen tun sich schwer, weil es unbequeme Entscheidungen sind, zum Teil müsste der Straßenraum völlig neu aufgeteilt werden, das kostet natürlich. Auch Geschwindigkeitsbegrenzungen, mit denen man schon ein höheres Maß an Sicherheit erreichen könnte, sind in Deutschland ja ein heißes Eisen. Es wird alles zu sehr vom Auto her gedacht.“

Zwar gibt es die „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (ERA), ein technisches Regelwerk – doch haben die im Gegensatz zur Straßenverkehrsordnung (StVO) keinen Gesetzescharakter. Auf Landesebene ist die Anwendung dieser Richtlinie in einigen Bundesländern Voraussetzung für finanzielle Förderung, in Sachsen-Anhalt sind die ERA für alle Wegebauten in Verantwortung des Landes verbindlich. Auch den Kommunen werden sie zur Anwendung empfohlen. „Die ERA sind nicht beliebig, aber auch nicht juristisch einklagbar“, wie Werner Hartig vom ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) anmerkt. „Da gibt es großen Nachholbedarf in so gut wie allen Kommunen, um den Radverkehr bei Verkehrsprojekten gleichberechtigt zu behandeln. Wir vermissen da auch eine kritische Öffentlichkeit.“

Nicht als Meckerer sagt Hartig das, sondern um Veränderungen und Verbesserungen anzuregen. Er möchte zum einen Verbündete finden und zum anderen Kompromisse. „Radfahrer sind ja nur eine Gruppe im Straßenverkehr und bei Weitem nicht immer im Recht. Aber Radfahren ist einfach eine Grundform von Mobilität, eine gesundheits- und klimapolitisch bedeutsame noch dazu.“ Nicht auf Kosten anderer wollten die ADFC-Mitglieder für ihre Ziele eintreten, „aber wir wollen die Anteile im Straßenverkehr verschieben. Man muss einen Interessensausgleich finden.“

Werner Hartig ist passionierter Radfahrer, er fuhr einst Radrennen, hat sich dann mit zunehmendem Alter aufs Radwandern verlegt und sieht das Radfahren als „eine schöne, unkomplizierte Form der Fortbewegung. Man ist an der frischen Luft und bewegt sich.“ Aber er ist kein militanter Radfahrer, und natürlich nimmt der 69-Jährige auch oft das Auto – wenn er von seinem Wohnort Birkholz beispielsweise zu seiner ehrenamtlichen Tätigkeit in der Landesverkehrswacht nach Magdeburg fährt oder zum Berufsbildungswerk Stendal, wo er derzeit Flüchtlingen Deutschunterricht gibt.

Mit der Passion fürs Radfahren allein ist es nicht getan, darum ist Hartig auch der Koordinator der ADFC-Gruppe Stendal-Tangerland, in der sich 16 Mitglieder aus Stendal, Tangermünde und Tangerhütte zusammengetan haben. Als eines ihrer ersten Anliegen haben sie in Person von Werner Hartig, Traudel Kallender und Reinhard Wirth die Stendaler Kernstadt aus Radfahrersicht mal genauer unter die Lupe genommen. „Uns liegt die Schaffung einer radverkehrsgerechten Innenstadt und vor allem die sichere und komfortable Radverkehrsführung vor allem an Verkehrsknoten am Herzen.“

In Stendal gebe es sehr viele für Radfahrer gefährliche Brennpunkte, zum Beispiel die Kreisverkehre, insbesondere den Knotenpunkt Arneburger Straße/Parkstraße/Bismarckstraße oder auch die Eisenbahnüberführung der Dahlener Straße über die Röxer Gleise. Jetzt, da große Bauvorhaben in der Stadt anstehen – einige davon in Landesverantwortung –, wäre es aus Sicht der ADFC-Gruppe auch die Chance, den Radverkehr sinnvoll mit zu bedenken, im besten Falle sogar „neu zu denken“, so Hartig. „Die Bismarckstraße wird ausgebaut, die Wendstraße und die Weberstraße sollen erneuert werden – Verbesserungen für Radfahrer scheinen da nicht in Sicht“, schätzt er anhand der veröffentlichten Pläne ein.

Und damit würden die radfahrenden Menschen weiterhin entweder zu gefährlichem Fehlverhalten verleitet (indem sie Fußwege benutzen oder sie gar in falscher Richtung befahren) oder aus Unbehagen und Angst gleich ganz vom Radfahren abgehalten. „Ich verstehe jeden, der sich als Radfahrer nicht in den Mischverkehr auf die Straße traut, obwohl dies laut Straßenverkehrsordnung ja sogar vorgeschrieben ist“, sagt Werner Hartig und betont vorsichtshalber noch einmal: „Wir sind keine Autofahrerfeinde, aber auch keine Kämpfer, die sich fürs Radfahren eine Rüstung anlegen wollen.“