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Rocklegende Rüschen-Schlafanzug für den Hippie

Zu einer Reise durch die Rockgeschichte nahm City-Frontmann Toni Krahl am Donnerstag seine Zuhörer in Stendal mit.

Von Claudia Klupsch 25.11.2016, 23:01

Stendal l Toni Krahl ist jemand, den man gemeinhin als coolen Typen bezeichnet. Der Frontmann der Rockband City plauderte am Donnerstag aus seiner Biografie, gab Erlebnisse und Anekdoten aus seinem Rockerleben in der DDR preis, griff auch gelegentlich zur Klampfe und ließ seine rauchige Gesangsstimme hören.

Rund 70 Fans hatten sich im Musikforum Katharinenkirche eingefunden. „Seid willkommen, Millionen!“, geht der bestens aufgelegte Toni Krahl ironisch auf den Fakt der eher kleinen Zuhörerschar ein. Einst spielte City mit ihm als Sänger vor Tausenden, tourte auch im Westen, die Band war Kult, „Am Fenster“ und „Casablanca“ sind bleibende Hymnen. City gibt noch heute Konzerte, in wenigen Tagen spielt die aktuelle Formation gemeinsam mit Karussell-Sänger Dirk Michaelis in Stendal, dann im Theater der Altmark.

Toni Krahl ist heute 67 Jahre alt, er springt auf die Bühne wie ein junges Reh und hat diesen feinen Humor, der die Zuhörer sogleich erheitert. Am Abend in der „Katharine“ erzählt und liest er mehr als dass er singt. Denn seine Anfang des Jahres erschienene Autobiografie „Toni Krahls Rock- legenden“ steht im Mittelpunkt.

Im locker geführten Interview mit Puhdys-Tourmanager Kai Suttner erfahren die Fans vom ersten prägenden Erlebnis mit Musik, als „Please Please Me“ von den Beatles in die Ohren des 13/14-jährigen Krahl drangen und er das „akustische Licht der Welt erblickte“. Der Sänger amüsiert mit seinen Geschichten, die er in packendem Erzählton und immer mit einem gewaltigen Schuss Selbstironie seinen Zuhörern erzählt. Die Gitarre, die ihm Schauspieler Henry Hübchen überteuert verkaufte, kommt genauso vor, wie sein originelles Bühnen-Outfit in ersten Jahren, für das ein Rüschen-Schlafanzug-Oberteil seiner Mutter die Grundlage bildete. „So musste man aussehen als Hippie“, bekennt er schmunzelnd. Lange Haare habe er damals gehabt, wie alle die irgendwie auf Protest gebürstet waren.

Fließend geht Krahls Rückblick aufs gelebte Leben in ernste Tatsachen über, so etwa, als ihm eine „stumme Demo“ vor der sowjetischen Botschaft gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings Stasi-Knast einbrachte. Keinesfalls anklagend oder weinerlich kommt seine Schilderung herüber, als er sich an die erste einsame, schreckliche Nacht in der Zelle erinnert. „Aber geweint habe ich nicht“. Er kommt kurze Zeit später frei. Sein Vater hatte die Konsequenzen zu tragen, wurde vom ND-Korrespondenten zum Archivar degradiert.

1974 kam City der ursprüngliche Sänger abhanden. „Die Band bekam dann den besten Sänger, den sie kriegen konnte“, scherzt Toni Krahl. Selbstverständlich ist der „kleine Welthit“, das Lied „Am Fenster“ Teil der Bandgeschichte. „Wir gehen jetzt alle auf die 70 und können dieses Lied noch immer in Würde spielen.“ Dass die Nutten auf der Reeperbahn es als eine Art Zeitschaltuhr für ihre Dienste auflegten, ist in einer Geschichte im Buch aufgeschrieben.

Das Album „Casablanca“ sieht Toni Krahl als „Soundtrack des DDR-Untergangs“. Dass die Platte auf Geheiß Margot Honeckers aus den Läden genommen wurde, die Band daraufhin drohte, von einer Westreise nicht zurückzukehren, die Platte wieder auftauchte und sie der Gruppe schließlich den „Kunstpreis der DDR“ einbrachte, ist eine weitere turbulente Geschichte, die das Rockerleben in der DDR schrieb. Buch und Plauderabend bieten eine aufschlussreise Zeitreise.