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Seelsorge Die Frau mit dem Draht nach oben

Angelika Beyer ist im Johanniter-Krankenhaus Stendal als Klinik-Seelsorgerin tätig.

Von Volker Langner 11.04.2017, 01:01

Stendal l „Wie geht es Ihnen denn heute.“ Das ist ein Satz, mit dem Angelika Beyer Eis brechen möchte. Das Eis zu Patienten, denen das Schicksal zugesetzt hat und die sich deshalb mitunter schwer tun, sich zu öffnen. Angelika Beyer ist Klinik-Seelsorgerin am Johanniter-Krankenhaus, betreut als Psycho-Onkologin vor allem an Krebs Erkrankte.

„Ich versuche, für Patienten da zu sein, denen es seelisch nicht gut geht“, umreißt die 63-Jährige ihren Anspruch in einem Satz. Auf diese stößt sie bei ihren Besuchen in den Zimmern oder durch Hinweise von Ärzten und Schwestern, die sie bitten: Guck doch da mal rein! Die Probleme, mit denen Angelika Beyer konfrontiert wird, sind breit gefächert. Da ist die Krebspatientin, die von ihrer Erkrankung kalt erwischt wurde und sich von der Therapie nicht nur körperlich entkräftet fühlt. Da ist die Krankenschwester, der der Tod einer Patientin arg zu schaffen macht. Da ist das junge Paar, deren Kind tot zur Welt kam.

Angesicht dieser Vielschichtigkeit leuchtet es ein, wenn Angelika Beyer sagt, es gebe keinen Fahrplan, kein Rezept bei der Betreuung. „Ich kann einfach nur begleiten“, macht sie klar und fügt an: „Dasein, Zuhören, Beistehen sind Mittelpunkt meiner Arbeit. In erster Linie natürlich mit Gesprächen. „Da hat ein Paar über den Kinderwagen nachgedacht, aber nicht über eine Beerdigung.“

Wie findet die Seelsorgerin die richtigen Worte? „Ich weiß nicht, ob ich die richtigen Worte finde. Ich versuche einfach, mit meiner Erfahrung zu helfen.“ Erfahrung hat die gebürtige Karl-Marx-Städterin – Karl-Marx-Stadt heißt seit 1990 wieder Chemnitz - , die als Zwölfjährige mit ihrer Familie in die Altmark kam, reichlich sammeln können. Da sie als gläubige Christin weder Mitglied der DDR-Jugendorganisation FDJ wurde noch an der Jugendweihe teilnahm, blieb ihr das Wunschstudium zur Kinderärztin verwehrt. Sie absolvierte eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Laborassistentin. Mit 23 Jahren studierte sie dann doch noch: Theologie in Erfurt. Als Pastorin arbeitete sie aber nur kurzzeitig. Die Familie trat an erste Stelle, drei Söhnen und einer Tochter schenkte sie das Leben. 1994 schließlich kam die Anfrage aus dem Krankenhaus, ob sie als Seelsorgerin einsteigen wolle. Angelika Beyer wollte.

Seit 2000 ist die vierfache Mutter zudem ehrenamtlich als Notfallseelsorgerin tätig. Bei plötzlichen Todesfällen, beispielsweise nach Unfällen und Selbsttötungen, wird sie von der Leitstelle angefordert und begleitet Angehörige. Angelika Beyer räumt mit einem weitverbreitetem Irrglauben auf. „Eine Todesnachricht dürfen Notfallsorgerin nicht überbringen. Das ist Sache von Polizei oder Arzt“, klärte sie auf.

Wie hält eine Seelsorgerin das Leid aus, mit dem sie konfrontiert wird? „Ich glaube, ich bin dafür geboren“, antwortet Angelika Beyer und fügt schmunzelnd an: „Ich habe einen Draht nach oben.“ Dann wird sie wieder ernster und erzählt von ihrem Mechanismus: „Ich gehe raus aus der Situation.“ Sie fühle mit, aber sie leide nicht mit. Selten komme es vor, dass ihre Gesprächsangebote ausgeschlagen werden, so Angelika Beyer. „Das kann ich akzeptieren.“ Schließlich habe jeder seine Art, mit Trauer und persönlichem Leid umzugehen.

Auch in ihrer Freizeit engagiert sich die Seelsorgerin, die in Klein Schwechten wohnt, für andere Menschen. In der Vineyard-Gemeinde Stendal, einer freien evangelischen Gemeinde, wird unter anderem Suppe für Bedürftige ausgegeben. Gern verbringt sie zudem Zeit mit ihren beiden Enkeln. Angelika Beyer. „Wenn ich sie um mich habe, dann vergesse ich alles.“