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Stadtratswahl Fast 1000 Stimmen gefälscht

Die Manipulationen bei der Briefwahl liegen schon länger als ein Jahr zurück. Doch erst im Jahr 2015 wurde das Ausmaß der Fälschungen klar.

03.01.2016, 14:08

Stendal l Die Aufarbeitung des Stendaler Wahlskandals begann im zurückliegenden Jahr mit einem Paukenschlag: Volksstimme-Recherchen ergaben Anfang Januar, dass im Rathaus bereits am Wahltag, dem 24. Mai 2014, die Fälschung einer Briefwahlvollmacht angezeigt wurde. „Diese Information ist am Wahltag nicht zu mir gelangt“, räumte Stadtwahlleiter Axel Kleefeldt daraufhin ein. Offenbar sei sie nicht deutlich genug artikuliert worden, vermutet er.

Es war Winfried S. (Name von der Redaktion geändert), der am Wahltag seine gefälschte Unterschrift und den Namen eines ihm unbekannten Mannes als Bevollmächtigten im Stadthaus zu sehen bekam. S. wollte an dem Tag in seinem Wahllokal wählen gehen, was ihm jedoch zunächst verwehrt wurde – er habe ja schon per Briefwahl abgestimmt.

Sechs Wochen später meldet sich der Mann erneut bei der Stadt. Anfang Juli schildert er den Fall im Rathaus und gibt eine eidesstattliche Versicherung ab. Sie bildet die Grundlage für die strafrechtliche Aufarbeitung des Wahlskandals, der bis dahin nur eine Verwaltungspanne war, da im Rathaus mehr als die vier erlaubten Wahlunterlagen an Bevollmächtigte ausgegeben worden waren.

Was S. der Volksstimme Anfang Januar 2015 berichtete, löst indes eine weitere Strafanzeige des Stadtwahlleiters aus: Noch am Abend nach seiner Aussage im Rathaus bekam Winfried S. zu Hause Besuch von zwei jüngeren Frauen. Sie baten ihn, doch seine Aussage zurückzunehmen.

Woher diese beiden überhaupt von der Aussage wissen konnten, ist bis heute ungeklärt.

Ob es einen Maulwurf im Stendaler Rathaus gab, der diese brisante Information an interessierte Kreise weitergab? Der im Januar 2015 eingesetzte Sonderausschuss des Stadtrates konnte diese Frage ebenso wenig klären wie die Hintergründe, warum es zu dieser im Land einmaligen Verwaltungspanne kommen konnte.

Personelle Konsequenzen in der Stendaler Verwaltung blieben jedenfalls aus. Stadtwahlleiter Axel Kleefeldt ist zwar insbesondere bei Linken und SPD umstritten. Ein im Frühjahr erwogenes Abwahlverfahren bliesen beide jedoch wieder ab – da auch die eigenen Reihen in der Frage nicht so geschlossen waren, dass der Vorstoß erfolgreich gewesen wäre.

Für den mutmaßlichen Drahtzieher der Wahlmanipulation, den ehemaligen CDU-Stadtrat Holger Gebhardt, und für seine Lebensgefährtin enden die Vorwürfe jedoch folgenschwer. Beide scheiterten in den vergangenen Monaten vor dem Stendaler Arbeitsgericht mit ihrer Klage auf Wiedereinstellung.

Holger Gebhardt, von der Stadt ans Jobcenter abgeordnet, war unmittelbar nach einer Hausdurchsuchung im November 2014 gekündigt worden. Auch seine Lebensgefährtin, die im nachgeordneten Bereich der Stadtverwaltung gearbeitet hatte, bekam im Januar 2015 die fristlose Kündigung ihres bis August des vergangenen Jahres befristeten Vertrages. Sie gehört zu den zwölf Bevollmächtigten, die mehr als die erlaubten vier Wahlunterlagen abgeholt hatten.

Vor Gericht musste die Stadt bei ihr die Kündigung in eine Beurlaubung umwandeln. Doch der sicher geglaubte Arbeitsplatz für die Zukunft war damit Geschichte.

Wie genau das System mit den Vollmachten abgelaufen ist, legten weder Gebhardt noch seine Lebensgefährtin vor dem Arbeitsgericht dar. Das wissen bislang nur die Strafermittler. Diese warten derzeit nur noch ein Schriftgutachten aus dem Landeskriminalamt ab, bevor sie den Fall abschließen.

Das Ausmaß der Fälschungen lüftete die Staatsanwaltschaft aber bereits im vorigen Mai: In mehr als 160 Fällen gehen die Ermittler davon aus, dass die Vollmachten gefälscht waren. Bei je drei Stimmen für die Stadtrats- und die Kreistagswahl sind dies fast 1000 Stimmen – es ist Sachsen-Anhalts bislang größter Wahlskandal.

Eine Wiederholung dürfte auszuschließen sein: Das Innenministerium hat aus dem Fall Stendal Konsequenzen gezogen und im Dezember die Bestimmungen für Briefwahlvollmachten in der Kommunalwahlordnung verschärft.