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Strauß des Monats Mathe kann auch für Lächeln sorgen

Der Blumenstrauß für besonderes Engagement geht im Dezember an Reinhild Beyer aus Stendal.

Von Thomas Pusch 10.12.2016, 00:01

Stendal l „Das ist ja toll, Orange ist meine Farbe.“ Reinhild Beyer freut sich nicht nur über den Blumenstrauß des Monats, sondern auch seine Zusammenstellung. In der Tat, im Wohnzimmer ihrer Wohnung im Stendaler Stadtteil Nord findet sich die Farbe häufig wieder, im Sofakissen, in Platzdeckchen, in Kerzen. „Ich setze ganz gerne Farbtupfer“, sagt sie fröhlich und begibt sich auf die Suche nach einer passenden Vase. Die ist schnell gefunden und dann nimmt auch sie in der guten Stube Platz. Sie ist gut gelaunt. Das hängt sicherlich einerseits mit der Auszeichnung zusammen, andererseits verabschiedet sich auch endlich die Blockade ihrer Nasennebenhöhlenverstopfung.

Letzteres hat sie wohl verschiedenen Medikamenten zu verdanken, Ersteres ihrem Engagement an der Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Dort ist sie seit Herbst 2014 aktiv, aber sie holt ein bisschen weiter vorher aus.

„Seit dem 1. Mai 2014 bin ich zu Hause“, erzählt die Lehrerin für Mathematik und Physik, die zuletzt an der Stendaler Comenius-Schule tätig war. Eine durchaus nicht alltägliche Fächerkombination für eine Lehrerin, auch sie hätte lieber etwas Anderes gemacht. „Ich wollte gerne Russisch und Englisch unterrichten, aber das hat nicht geklappt“, sagte sie. Dafür besucht sie jetzt einen Englischkurs an der Volkshochschule, aber das ist ein anderes Thema.

Vor ihrer letzten Unterrichtsstunde hatte sie schon eine Phase der Altersteilzeit. „Das war schön, denn der Stress wurde immer mehr und so konnte ich langsam aus dem Berufsleben ausschleichen“, beschreibt sie. Bereut habe sie das nicht. Allerdings sei ihr von vornherein auch klar gewesen, dass ihr Ruhestand nicht eine Phase im wahrsten Sinne des Wortes sein würde.

„Ich bin so ein Typ, der muss unter Menschen sein, der kann nicht einfach zu Hause rumsitzen“, beschreibt sie sich. Zum Abschied vom Berufsleben habe sie sich viel Kultur gewünscht, das klinge hochtrabender als es gemeint ist, sie sei zunächst aber viel unterwegs gewesen. Außerdem habe sie auch noch einen Garten, es sei also erst einmal genügend zu tun gewesen. Dann machte sie sich daran, ihr Arbeitszimmer aufzuräumen.

„Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch gar nicht, was ich machen will, aber komischerweise blieben die Mathesachen liegen“, fiel ihr das auf. Außer Mathematik und Physik hatte sie in ihrem Berufsleben auch Hauswirtschaft und Planen, Bauen, Gestalten unterrichtet, aber ihr ehrenamtliches Engagement schien wohl auf Mathe hinauszulaufen. Wenn sie Zeitungsartikel über wohltätige Institutionen wie die Grünen Damen oder das Hospiz las, überlegte sie, auch dort mitzuwirken. „Ich arbeite aber lieber mit jungen Menschen zusammen“, gestand sie. Und es sollte vormittags sein. Leseoma im Kindergarten, war ein Gedanke, den verwarf sie aber alsbald wieder.

Dann erinnerte sie sich an ihre Zeit als Lehrerin. Zuletzt hatte sie eine zehnte Klasse abgegeben und als die achte und neunte Klasse war, habe es jedes Jahr einen anderen Schüler gegeben, der eine Zeit in der Tagesklinik des Fachkrankenhauses Uchtspringe in Stendal verbrachte. Es hatte auch Kollegen gegeben, die dort unterrichteten, aber nach deren Erfahrungen wollte sie nicht fragen. „Ich wollte mich nicht verunsichern lassen“, erklärte sie. So meldete sie sich in der Tagesklinik, bot ihre Dienste als ehrenamtliche Mathelehrerin an. „Ich sollte eine Bewerbung schreiben“, war sie etwas verdutzt. Die hielt sie ganz kurz und bekam auch schnell eine Zusage.

Montags und mittwochs ist sie nun jede Woche für jeweils zweieinhalb Stunden am Westwall. Fünf Schüler aus den Klassenstufen fünf bis zehn werden dann unterrichtet, jeder für eine halbe Stunde. Zwei besondere Schlüsselerlebnisse hatte Reinhild Beyer auch gehabt, die sie in ihrem Engagement noch bestärkten. Ein Fünftklässler sagte zu ihr: „Ich weiß, dass meine Klassenkameraden voraus sind, aber was ich bei ihnen lerne, beherrsche ich sicher.“ Und ein Mädchen gleichen Alters kam in die erste Stunde mit dem Gesicht zur Faust geballt und sagte nur: „Ich hasse Mathe.“ Beim zweiten Mal hatte sie schon ein Lächeln im Gesicht. „Da ist doch offensichtlich etwas passiert“, freut sich die 62-Jährige.

Und solch positiven Impulse will sie auch weiterhin setzen. Dabei stehen für sie die Kinder im Mittelpunkt. Schwestern und Ärzte freuen sich auch, dass sie mit an Bord ist. Den Grund, warum die Kinder in der Tagesklinik sind, will sie gar nicht unbedingt wissen. Manches bekomme sie schon mit, aber genaue Einzelheiten hinterfragt sie lieber gar nicht: „Dafür bin ich einfach zu sensibel“.