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Ungewöhnlich wohnen Leben, wo das Mühlenrad klappert

Die Niederländer Frank Hendriks und Desiree Boks richten sich in der historischen Wassermühle Staats ein Zuhause ein.

Von Doreen Schulze 19.07.2016, 03:00

Staats l Gemütlich wohnen in einem Reihenhaus mit Vorgarten, Gartenzwerg, Kamin und Fußbodenheizung? Für Frank Hendriks und Desiree Boks ist dies nicht die Erfüllung. Das Paar aus den Niederlanden ist gerade dabei, sich häuslich in einer Mühle niederzulassen, und zwar in einer historischen Wassermühle, nämlich der Wassermühle Staats. Dabei geht es nicht nur um den Wohnraum. Das Paar richtet die gesamte Mühle soweit her, dass der Mahlbetrieb dort wieder vorgenommen werden kann.

Die Idee etwas ganz Neues auf die Beine zu stellen, hatte das Paar vor knapp zehn Jahren. „Wir wollten eine Mühle kaufen“, erzählt Frank Hendriks. Im Internet gab er in die Suchmaschine „Mühle kaufen“ ein. An erster Stelle tauchte die Wassermühle Staats auf. „Wir haben uns alles durchgelesen und waren sofort begeistert. Damit war die Suche nach einem geeigneten Objekt abgeschlossen.

Eine Mühle kaufen – Frank Hendriks und Desiree Boks ging es bei diesem Vorhaben nicht vorrangig darum, in einem ungewöhnlichen Zuhause zu leben. Sie möchten ihrem Leben eine neue Wendung geben. Der Lkw-Fahrer, der auch in Afrika unterwegs war, und die Busfahrerin wollen Mehl mahlen, Brot backen, ein altes Handwerk nutzen, nachhaltig leben. Dafür hat Hendriks in seiner Heimat auch das Müllerhandwerk von der Pike auf gelernt.

Ziel ist es, die historische Mühle, die bereits in Schriften aus dem 14. Jahrhundert erwähnt wird, wieder zum Laufen zu bringen. Um dies zu erreichen, musste einiges erneuert werden. Unter anderem musste das alte Mühlenrad ausgebaut werden. Ein modernes Rad mit neuer Welle wurde eingebaut. Auch die Backstube, die schon die Vorbesitzer, Müllerfamilie Wilcke, nutzte, soll wieder in Betrieb genommen werden. Das gemahlene Mehl soll dort verarbeitet werden, zu Bio-Brot versteht sich. Boks und Hendriks möchten dazu mit Landwirten aus der Region zusammenarbeiten. „Vom Acker zum Backer“ lautet das Motto, das sie dabei verfolgen. In der Scheune des Vierseitenhofs ist unter anderem eine historische Dreschmaschine ausgestellt. Hinzu kommen viele weitere landwirtschaftliche Gerätschaften.

Neben dem Wohnen im Mühlenhaus und der Wiedernutzung der Wassermühle kommt ein dritter Schwerpunkt hinzu, der Boks und Hendriks am Herzen lieg, den Menschen zeigen, wie das Handwerk funktioniert, wie unsere Vorfahren Technik nutzen, welchen Weg das Korn auf dem Feld geht, ehe es beim Bäcker landet. Dazu laden die Mühlenbesitzer zu Schautagen ein. Jeweils am Deutscher Mühlentag (jeweils am Pfingstmontag) sowie am Tag des offenen Denkmals (2. Sonntag im September) kommen Hunderte Besucher, um sich das historische Handwerk anzuschauen. Beim diesjährigen Mühlentag probierten die Gäste bereits Crêpes aus eigenproduziertem Mehl. Außerdem wird Apfelsaft aus eigener Ernte angeboten. Rund um die Mühle stehen auf Streuobstwiesen Obstbäume.

Um den Gästen die Funktion der Mühle so anschaulich wie möglich zu gestalten, baute Hendriks transparente Luken ein. Die unterschiedlichen Arbeitsabläufe beim Mahlen können so beobachtet werden. Die Besucher schauen zu, wie sich das de Mühlenrad dreht oder Schrot eingesackt wird. Auch Einblicke in den Mahlgang sind gewährleistet.

Die historische Mühle erstreckt sich über vier Etagen. Auf der ersten Etage werden Mehl und Schrot eingesackt. Auf der zweiten Etage befinden sich die Mahlsteine. Vier Mahlgänge hat die Mühle, einer davon ist ein Schrotgang. Der dritte Boden ist der Lagerboden. Dort wird das Getreide vorrätig gehalten. Über hölzerne Röhren rutscht es in die untere Etage. Vorrichtungen sind getroffen, um Mehlstaubexplosionen vorzubeugen. Der vierte Boden ist der Aufschüttboden. Neben den vier Böden befindet sich in ein Museumsraum mit Mahlsteinen, Handwerksutensilien, Säcken.

Für Frank Hendriks ist eine Freude, den interessierten Besuchern die Abläufe zu erklären, das Müllerhandwerk nahe zu bringen und den Leuten das frisch gemahlene Schrot zu präsentieren. Das Paar begrüßte schon Kita-Gruppen, Schulklassen und Vereine, die sich die Mühle erklären ließen. „Das ist das, was wir wollen. Den Leute nahe bringen, wie die Technik funktioniert, aber auch, welchen Weg unsere Lebensmittel gehen“, sagt Hendriks. Für ihn steht dabei auch immer die Nachhaltigkeit, die Ursprünglichkeit und die Unverfälschtheit der Lebensmittel im Vordergrund.

Leben in Staats? Frank Hendriks und Desiree Boks können sich das gut vorstellen. „Ich sehe mich nicht als Holländer oder vielleicht einmal als Altmärker. Ich sehe mich als Europäer. Als ein Bewohner dieser Erde“, bringt es Frank Hendriks auf den Punkt. Noch haben er und seine Lebensgefährtin ihren Hauptwohnsitz in den Niederlanden. Dies soll sich ändern. „Wenn wir alles hergerichtet und unsere Verpflichtungen bei der Bank eingelöst haben, wollen wir in Staats leben.“

In den Niederlanden gehen beide ihren Berufen nach, auch um sich ihren Traum vom Leben in der Mühle zu finanzieren. Urlaube, freie Tage, verlängerte Wochenenden nutzt das Paar nicht, um fremde Länder zu entdecken. Es fährt nach Staats und werkelt in der Mühle, richtet die Räume im Wohnhaus neben der eigentlichen Mühle her, macht es sich dort gemütlich, bereitet Schautage vor. Zeitweilig lebt es bereits in der Müllerwohnung. Vorgenommen haben sich Hendriks und Boks beim Kauf des Grundstücks nach etwa zehn Jahren in der Altmark sesshaft zu werden. Die Zeit ist fast um. Angekommen sind sie im Dorf jedenfalls schon. „Wir bekommen von vielen Leuten aus Staats und Umgebung Unterstützung“.

Offen für Menschen, die sich für das Müllerhandwerk, nachhaltige Landwirtschaft, die Historie des Ortes interessieren, ist der Hof der Wassermühle schon jetzt. Neben dem Wohnraum für die Mühlenbesitzer ist eine Pension eingerichtet. In mehreren Zimmern finden Gäste Platz. „Fahrradtouristen können bei uns einkehren. Anfragen gab es aber auch schon aus dem Ort, etwa wenn eine große Familienfeier ansteht und Gäste einen Platz zum Übernachten suchen“, schildert Boks. Die Zimmer bleiben dem Stil der ländlichen Mühle treu, wirken fast so, als würde der Gast das Schlafzimmer der Urgroßeltern betreten. Auf die Annehmlichkeiten des modernen Zeitalters müssen die Gäste dennoch nicht verzichten. Ein modernes Badezimmer mit Toilettenspülung und warmem Wasser ist natürlich vorhanden.

Auf das Leben in Staats freuen sich Frank Hendriks und Desiree Boks schon: Mehl mahlen, es zu Brot verarbeiten, Gäste bewirten, Workshops anbieten. Das ist das Ziel.