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Wahlfälschung Nur naiv und gutgläubig?

Einblicke in das Innenleben der Stendaler CDU-Kreisgeschäftsstelle - darum dürfte es am zweiten Tag des Wahlfälschungprozesses gehen.

17.01.2017, 01:00

Stendal l Wenn Richterin Simone Henze-von Staden um 9 Uhr die Sitzung eröffnet, sollte eigentlich CDU-Kreis- und Fraktionschef Wolfgang Kühnel für 90 Minuten auf dem Zeugenstuhl Platz nehmen. Doch Kühnels Termin wurde wegen dessen lange geplanter Auslandsreise auf den 15. Februar verschoben.

Für den Zeitraum hat die Erste Strafkammer nunmehr zwei seiner engsten Mitarbeiterinnen geladen: CDU-Kreisgeschäftsführerin Yvette Below und Angea B., die seit 1987 bereits für die Partei beziehungsweise einzelne Abgeordnete arbeitet.

Beide Frauen haben im Mai 2014 in mehreren Anläufen fast 40 Briefwahlunterlagen in Gebhardts Auftrag im Rathaus der Stadt abgeholt. Der damalige CDU-Stadtrat und enge Mitarbeiter von Kühnel habe die Vollmachten in verschlossenen Umschlägen in der Geschäftsstelle hinterlegt. Die Wahlunterlagen hätten sie dort wieder platziert beziehungsweise ihm direkt übergeben.

B. hatte gegenüber den Ermittlern ausgesagt, dass Gebhardt ihr versichert habe, dass die Wahlberechtigten die Vollmachten persönlich unterschrieben und gewusst hätten, dass sie diese abhole.

Below räumte hingegen bei der Frage ein, warum sie Vollmachten einlöste, deren Vollmachtgeber sie gar nicht kannte, dass sie „naiv“ gewesen sei und die Situation nicht hinterfragt habe. Zudem will sie zunächst gar nicht bemerkt haben, dass die Vollmachten auf sie ausgestellt worden waren.

Die CDU-Kreisgeschäftsführerin will auch nicht stutzig geworden sein, als sie für eine Vollmacht keine Unterlagen erhielt, da der betreffende Wahlberechtigte bereits selbst die Briefwahl beantragt hatte. Hier hätte der Schwindel schon auffliegen können.

Was haben beide Frauen von Gebhardts Aktivitäten mitbekommen? Wie war Wolfgang Kühnel darin eingebunden? Dem Vernehmen nach war die Geschäftsstelle Gebhardts zweites Zuhause.

Der 43-jährige Angeklagte hatte in seiner ersten Einlassung in der vorigen Woche die Fälschungen weitgehend eingeräumt und ausgesagt, dass er ein System übernommen habe, das es bereits bei vorausgegangenen Wahlen gegeben habe.

So sei ihm die Liste mit mehr als 100 Wahlberechtigten, die beim Jobcenter registriert waren, nach dem plötzlichen Tod eines CDU-Ratsmitglieds „übergeben worden“, der diese geführt und in der Behörde gearbeitet habe. Er habe nur „20 bis 30 Neuadressen“ eingepflegt und die Daten „regelmäßig aktualisiert“.

Was wussten Yvette Below und Angela B. davon? Diese Liste war auf den Rechnern von Wolfgang Kühnel und B. installiert, auf die auch Gebhardt Zugriff gehabt haben soll. Wurde so auch bereits vor 2014 bei Wahlen „nichts dem Zufall überlassen“, wie Gebhardt es ausdrückte?

Unmittelbar danach will das Gericht Christian L. befragen. Laut Gebhardt hat dieser bereits im Mai 2014 für ihn Botendienste übernommen. Ins Visier der Ermittler geriet der junge Mann allerdings im Oktober 2014.

Damals war er mit einer schwarzen Aktenmappe in der Stadt unterwegs, die Daten von verschiedenen Briefwählern enthielt, und suchte diese auf. In Gebhardts Auftrag soll er versucht haben, für die Wiederholung der Briefwahl im November Wahlscheinanträge einzusammeln.

Das kam mehreren der Angesprochenen merkwürdig vor, so dass sie die Polizei informierten. Die Beamten stellten Christian L. am 24. Oktober – und entdeckten entscheidende Unterlagen, um diese einzigartige Wahlfälschung aufzudecken.

Für L. stand die Entdeckung übrigens unter keinem guten Stern: Die Polizisten stellten fest, dass er ohne gültige Fahrerlaubnis, dafür aber unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln durch die Stadt gefahren war.