WahlfälschungProzessende in Sicht

Auch am voraussichtlich vorletzten Verhandlungstag um die Wahlfälschung in Stendal ging es um viele Kleinigkeiten.

Von Bernd-Volker Brahms 09.03.2017, 00:01

Stendal l Es war die Frage aller Fragen. Am Ende eines dreistündigen, zähen Prozestages wollte Staatsanwältin Annekathrin Kelm vom Angeklagten Holger Gebhardt wissen: „Warum haben Sie das eigentlich gemacht?“ Der 43-Jährige blickt kurz zu seinem Anwalt rüber und sagt dann: „Dazu sage ich nichts.“

„Wenn Sie meine Fragen nicht beantworten wollen, dann habe ich auch keine mehr“, sagt Kelm. Für Richterin Simone Henze-von-Staden war es da ohnehin schon genug. „Ich denke, nächste Woche können wir zum Ende kommen.“

Drei Zeugen werden an diesem voraussichtlich vorletzten Verhandlungstag um Wahlfälschungen bei der Kommunalwahl 2014 noch einmal vernommen.

Die Publikumsstühle sind auch diesmal wieder voll besetzt, rund 60 Plätze stehen zur Verfügung. Schon 20 Minuten vor dem Auftakt ist lautes Stimmengewirr auf dem Flur in der ersten Etage des Stendaler Landgerichtes zu hören. „Ich möchte wissen, wie es 2017 um unsere Demokratie bestellt ist“, sagt ein älterer Mann, der sagt, dass er früher selbst einmal Bürgermeister war. Er ist einer von wenigen, die an diesem Mittwoch erstmals bei diesem Prozess dabei sind. Die meisten kennen sich und fachsimpeln über das Verfahren. „Da kommt heute auch nichts mehr bei raus“, sagt einer. „Die sollten mal besser den Güssau vorladen.“ Auch der Name einer Geschäftsfrau fällt, die im Verlauf des Prozesses von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte.

Die Stimmung kurz vor Sitzungsbeginn ist locker, es wird über einen Mann gerätselt, der bereits vorne im Gerichtssaal Platz genommen hat. „Der ist wohl übrig geblieben vom Müllprozess“, wird geflachst. Es stellt sich heraus, der Mann ist Gebärdendolmetscher und hilft der ersten Zeugin dieses Tages, ihre Aussage zu machen. Es geht um 100 Euro, die die Frau möglicherweise von besagter Geschäftsfrau bekommen haben soll. Die 54-jährige Mitarbeiterin sollte bescheinigen, dass es zu einer Namensverwechslung bei Briefwahlunterlagen gekommen war, die im Stendaler Rathaus abgeholt worden waren.

Die Zeugin kann sich nur schwer an die Vorgänge erinnern und legt mehrfach beide Hände vors Gesicht und sagt nichts. Ob sie nun das Geld von ihrer Chefin oder doch von Holger Gebhardt bekommen hat, das weiß sie nicht. Raunen geht durchs Publikum. Richterin Henze-von-Staden hakt nach, ist offensichtlich irritiert über die Aussagen. „Hat Ihnen jemand gesagt, was Sie heute vor Gericht sagen sollen“, fragt sie. Die Zeugin verneint.

Die Richterin wirkt angespannt. Wirsch hatte sie bereits vor Auftakt des Prozeßtages einen Journalisten angewiesen, sofort die Kamera auszustellen. Später wird sie durch das Knistern von Bonbonpapier aufgeschreckt. „Es ist nicht üblich, Lebensmittel jeder Art im Gerichtssaal zu konsumieren, da geht man raus“, sagt sie.

Die Geschäftsfrau und ihre Mitarbeiterin spielen auch bei der Aussage des Stendaler Stadtwahlleiters Axel Kleefeldt eine zentrale Rolle. Die Richterin möchte wissen, wie es abgelaufen ist, als die beiden an einem Montagmorgen im Juli 2014 zu ihm ins Büro kamen, um über die angebliche Namensverwechslung zu sprechen. „Ich sollte ganz offensichtlich davon abgehalten werden, eine Strafanzeige zu erstatten“, sagt Kleefeldt. Tatsächlich hatte er im Juli 2014 Strafanzeige erstattet, weil ein Florian M. versichert hatte, dass die Unterschrift seiner Briefwahlvollmacht gefälscht war. Die Spur der Unterlagen führte zur Geschäftsfrau, die beim Wahlleiter eine Verwechslung reklamieren wollte und ihre Mitarbeiterin als diejenige benannte, der diese Verwechslung passiert sei.

„Das war alles wenig glaubwürdig“, sagte Kleefeldt. Auch zwei andere Versionen, die ihm noch aufgetischt worden seien. An einen Zettel mit der Unterschrift der Zeugin kann sich der Stadtwahlleiter indes nicht erinnern. Diesen hatte die 54-jährige Frau nach eigenen Worten unterschrieben und damit die Verwechslung bezeugt. „Dafür habe ich die 100 Euro bekommen.“

Eine dritte Zeugin, eine 32-jährige Stendalerin, sagte aus, dass sie für die CDU 2014 und auch schon davor mit Listen hantiert hatte, auf denen Namen und Adressen verzeichnet waren. Mal hatte sie solche Listen für ihre Schwiegermutter, die gut mit dem CDU-Tausendsassa Hardy Peter Güssau bekannt war, in die CDU-Geschäftsstelle gebracht. Ein anderes Mal hatte sie eine Liste bei Edeka ausgehängt und auch wieder eingesammelt. Auch ihr Lebensgefährte habe sich um solche Listen gekümmert, obwohl sie beide sich nicht für Politik interessieren. Gebhardt, als ein Bekannter von ihnen, habe Druck gemacht. „Der hat immer wieder angerufen“, sagte die Frau. Als später alles raus kam und über Fälschungen in der Zeitung berichtet wurde, da habe sie Güssau getroffen. Der habe sich furchtbar aufgeregt und gesagt. „Der Holger ist ein Arsch.“

Dass „der Holger“ der einzige war, der in jenem Sommer an der Kommunalwahl herumgeschraubt hat, glauben viele Prozesszuschauer nicht. „Das ist doch alles eine Farce“, heißt es von einem älteren Mann, der wie viele andere nicht namentlich genannt werden möchte. Ein anderer sagt: „Was hier abläuft, stellt mich bei der nächsten Wahl vor eine Herausforderung.“ Er könne nicht verstehen, dass es bei den politisch Verantwortlichen keinen Willen zur Aufklärung gibt. „Der Webel fordert das doch und dann kommt bei der CDU nichts. Da kann sich der Kreis-Chef hinstellen und die Aussage verweigern.“