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Zeitungsprojekt Geschichten zwischen Krieg und Hoffnung

Über Krieg, Flucht und Zukunftshoffnung erzählen Menschen in Stendals erster interkultureller Zeitung "Mize".

Von Nora Knappe 17.12.2016, 00:01

Stendal l Es sind nur 16 Seiten, aber die wiegen schwer. Nicht im materiellen Sinne, sondern inhaltlich: Die erste Ausgabe von „Mize“, der Migrationszeitung im Landkreis Stendal, erzählt nämlich Geschichten von Flucht, Migration, neuen Lebensanfängen. „Alles, was da drin steht, kommt aus unseren Herzen, aber nicht alles, was in unseren Herzen ist, steht da drin.“ So formulieren es Jimmy Idelbi und Saber B., sich gegenseitig ergänzend und mit dem richtigen Deutsch aushelfend, im Volksstimme-Gespräch.

Jimmy Idelbi – dem 23-jährigen Syrer begegnet der Leser gleich als Erstes. In seinem Beitrag schildert er den Auslöser der Flucht aus Syrien und gibt einen Einblick in die Gefühlswelt vieler seiner Landsleute. Eindringlich, aber keineswegs rührselig. Da heißt es: „Niemand von uns hat vor dem Krieg darüber nachgedacht, Syrien zu verlassen. Das alles kommt uns wie ein Schicksal vor. Und es tut uns weh.“ Idelbi kam vor 15 Monaten nach Deutschland, lebt mittlerweile in einer Wohnung in Stendal und strebt das B2-Niveau im Sprachkurs an, denn er möchte gern in seinem gelernten Beruf arbeiten: Röntgenassistent. „Zurück nach Syrien? Das geht nicht. Es ist unfassbar, was in Aleppo passiert. Ich sehe meine Zukunft hier.“

Mit ihm im Deutschkurs sitzt Saber B., der andeutungsweise „zu gefährlich“ sagt, warum er seinen Nachnamen nicht nennen möchte. Der 27-jährige Iraner, der gern Kunst oder Musik studieren möchte, schildert in „Mize“ auf sympathische, leicht augenzwinkernde Weise, wie er Unterschiede zwischen Iranern und Deutschen erlebt, und sagt im Volksstimme-Gespräch diesen bemerkenswerten Satz: „Ich bin nur im Iran geboren, aber ich gehöre nicht zu dieser Welt.“ Noch wohnt er in der Gemeinschaftsunterkunft, sucht aber eine Wohnung. „Ich möchte mit deutschen Nachbarn leben.“

Aufgeschrieben wurden die Geschichten in „Mize“ allesamt von Menschen aus dem Landkreis Stendal, die ausgewandert, eingewandert, geflüchtet, zurückgekommen sind – oder sich ehrenamtlich oder wissenschaftlich mit dieser Thematik beschäftigen. „Das ist das Neue an dieser Zeitung“, sagt der Ägypter Moustafa Hassanein (53), selbst Journalist, „dass alle direkt sprechen, aus dem Herzen“. Und das war den Mitwirkenden auch am allerwichtigsten, wie Prof. Katrin Reimer-Gordinskaya sagt: „Dass die Menschen, die hierherkommen, für sich selber sprechen. Denn es gibt genug Diskurse über Migranten.“

Was man zu lesen bekommt, könnte also wahrhaftiger nicht sein. Auch eine Stendalerin erzählt von Fluchterfahrung. Ingrid Bahß schildert, wie ihre zu „Staatsfeinden“ deklarierte Familie die DDR verlassen musste. „Mir geht es darum, darauf aufmerksam zu machen, dass jeder der geflüchteten Menschen mit einem eigenen Schicksal zu uns kommt, mit eigenen Träumen, Ängsten, Hoffnungen.“

„Mize“ ist ein von der Stendaler Integrationskoordinatorin Stella Khalafyan angeschobenes und vom Landesverwaltungsamt gefördertes Projekt. Dass im Redaktionsteam viele einen Migrationshintergund haben, ist für Jürgen Lenski von der Altmärkischen Bürgerstiftung „ein Beispiel für Integration im besten Sinne“. Und weil auch andere Geflüchtete das Geschriebene verstehen können sollen, wurden die allesamt auf Deutsch verfassten Texte auch ins Arabische oder in Farsi übersetzt.

Gestaltet wurde die Zeitung, von der 9000 Exemplare gedruckt wurden, übrigens von dem syrischen Grafikdesigner Ibrahim Shehade. Weil er zum Interview- und Fototermin nicht kommen konnte, stellt Stella Khalafyan ihn kurz vor: „Er ist derjenige, der sehr, sehr viel Arbeit in die Zeitung investiert hat, er ist eine sehr bescheidene Person. Dank ihm haben wir das Logo und das ganze Layout. Ich weiß, dass er viele schlaflose Nächte für Mize hinter sich hatte.“

Die Zeitung liegt zur kostenlosen Mitnahme im Stendaler Landratsamt (Neubau, Hospitalstraße 1-2) aus.