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Entsorgung Ungemach flattert ins Haus

Nach 25 Jahren sollen Grundstückseigentümer in Wernigerode für den Anschluss an das alte Klärwerk in der Schmatzfelder Straße zahlen.

Von Regina Urbat 27.11.2015, 16:41

Wernigerode l Grundstückseigentümer in der Stadt müssen nach knapp 25 Jahren Abschlussgebühren bezahlen. Konkret betrifft das Eigentümer in Wernigerode, die am Stichtag 15. Juni 1991 an die alte Kläranlage in der Schmatzfelder Straße angeschlossen waren. Die entsprechenden Bescheide flattern ihnen in den kommenden Tagen ins Haus.

„Auf dieses Prozedere hätten wir sehr gern verzichtet“, sagt Nikolai Witte. Doch dem Geschäftsführer des Wasser- und Abwasserverbandes Holtemme-Bode (WAHB) sind die Hände gebunden. Gleiches gilt für die Mitglieder der Verbandsversammlung. Gezwungen wurde der Abwasserverband mit einer sogenannten Ersatzvornahme der Kommunalaufsicht des Harzkreises. „Mit dieser wurden wir verpflichtet, diese sogenannten besonderen Anschlussbeiträge bis zum 31. Dezember dieses Jahres zu erheben“, fügt Nikolai Witte hinzu.

Zur Verpflichtung der Kommunalaufsicht gehörte auch, dass der Verband die entsprechende Satzung über den „besonderen Herstellungsbeitrag“ im eigenen Amtsblatt veröffentlichen muss. „Das ist Ende Oktober geschehen“, so der Geschäftsführer.

Dabei hatte die Verbandsversammlung erst Anfang Juli beschlossen, die Satzung nicht zu verändern und die betroffenen Grundstückseigentümer nicht zur Kasse zu bitten. Nun pocht jedoch das Land nach einem Grundsatzbeschluss des Bundesverfassungsgerichtes auf die Zahlungsbescheide. Vorher blieb es den Verbänden in Sachsen-Anhalt überlassen, die Eigentümer, die vor der Einführung des Kommunalabgabengesetzes am 15. Juni 1991 bereits angeschlossen waren, überhaupt zahlen zu lassen.

Bei der Entscheidung, die Alt-Anschlüsse im Verbandsgebiet Holtemme-Bode nicht mit Beiträgen zu belasten, „haben wir uns an der Rechtsprechung orientiert, die besagt, dass Provisorien auszuschließen sind“, sagt Witte. Als ein solches Provisorum wurde die Mitte der 1930er Jahre gebaute Kläranlage in der Schmatzfelder Straße eingestuft. Sie war im Laufe der Zeit vielfach überlastet und konnte die Abwasserreinigung nicht mehr erfüllen. „Die damals zuständige staatliche Wasserbehörde hatte die Abwasseraufbereitung der Kläranlage Wernigerode als massiv unzureichend und mangelhaft kritisiert. Ein Ausbau unterblieb jedoch. Es fehlte das Geld, außerdem war der Zustand zu marode“, erinnert Witte.

Wie Witte weiter ausführt, waren sich zur Wendezeit die Verantwortlichen im Wernigeröder Rathaus einig, eine neue Kläranlage zu bauen. 1991 starteten die Vorplanungen. In das Projekt wurden Ilsenburg, Derenburg und Darlingerode eingebunden. Die Verbandskläranlage in Silstedt wurde ab Ende 1992 gebaut und war ab 1995 betriebsbereit. „Sie ist bis heute eine Kläranlage auf dem aktuellen technischen Stand.“

Die alte Kläranlage in der Schmatzfelder Straße wurde nach Inbetriebnahme der Anlage in Silstedt dem Erdboden gleich gemacht. Im Ergebnis eines Rechtsstreit entschied 2008 das Verwaltungsgericht Magdeburg, dass die alte Kläranlage wegen ihres desolaten Zustandes nur noch als Provisorium zu betrachten ist. „Diese Einstufung war für uns maßgeblich bei der Entscheidung im Juli“, sagt Witte, der von Hause aus Jurist ist.

Um so mehr ärgerte er sich über die „doppelte Rolle rückwärts“ des Verwaltungsgerichts. Vor gut zwei Monaten entschied nämlich das Gericht in Magdeburg per Eilverfahren, dass die alte Wernigeröder Kläranlage nun doch kein Provisorium ist, sodass „besonderen Beiträge“ zu erheben sind. „Das hat uns doch sehr überrascht“, sagt Witte. Dennoch sei die Verbandsversammlung bei ihrer Beurteilung geblieben und strebe eine gerichtliche Klärung an. „Wegen der Belastung der Gerichte wird es wohl etliche Monate dauern, bis wir Gewissheit haben, ob die Kläranlage in der Schmatzfelder Straße nun als Provisorium zu betrachten ist oder nicht“, vermutet Witte.

Mit der Ersatzvornahme der Kommunalaufsicht muss der Verband nun für etwa 4500 Grundstücke in der Kernstadt Wernigerode die „besonderen Beitragsbescheide“ versenden. Der Empfänger habe dann vier Wochen Zeit, um Widerspruch beim Verband einzulegen. „Wir rechnen mit zahlreichen Widersprüchen.“ Deshalb werde die Bearbeitung der Widersprüche bis zum Abschluss der gerichtlichen Klärung ausgesetzt. „Gleichzeitig strebt der Verband ein Musterklageverfahren an, um die Kosten für alle Beteiligten so gering wie möglich zu halten“, sagt der Geschäftsführer.

Übrigens: Da die Drei-Kammer-Kläranlagen und die Emscherbrunnen als Provisorien gelten, würden Grundstückseigentümer in Ilsenburg und Darlingerode nicht mit „besonderen Beiträgen“ zur Kasse gebeten, erklärt Witte.