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Tafeln Mit Äpfeln und Pizza Armut lindern

Bei einem Besuch der Tafel zeigt sich die Armut in Wernigerode. Vor allem ältere Menschen sind von Lebensmittelspenden abhängig.

Von Jörn Wegner 19.03.2016, 00:01

Wernigerode l Die Sakristei der Sylvestrikirche wird alle vierzehn Tage zum Lebensmittellager. Dann tragen die Helfer der Harzer Tafel Gemüsekisten, Joghurtpaletten und Tiefkühlpizza in den Raum. Die Arbeiterwohlfahrt versorgt von hier diejenigen Wernigeröder, die mit jedem Cent rechnen müssen. „Zum Monatsende sind es immer etwas mehr Kunden“, sagt Kai-Gerrit Bädje, der Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt, die die Harzer Tafel trägt. Zwischen 40 und 80 Menschen nutzen die Tafel in Wernigerode regelmäßig.

Die Tafel nutzen kann jeder, der in irgendeiner Form von Armut betroffen ist. Wer nachweist, dass er Hartz IV bezieht, Empfänger von Grundsicherungsrente ist oder aus anderen Gründen einen Sozialausweis besitzt, kann sich bei der Tafel einen Beutel mit Lebensmitteln abholen. Das Angebot wird von dem bestimmt, was die Supermärkte abgegeben haben.

„Ich nehme oft nicht alles mit“, sagt ein Betroffener. Manche Sachen lässt es lieber für andere übrig als es wegzuschmeißen. Der Wernigeröder bezieht Hartz IV. „Da bleibt nicht viel übrig“, sagt er. 200 Euro hat er im Monat nach Abzug aller Fixkosten zun leben.

Die meisten der Tafel-Kunden, die in der Sylvestrikirche auf ihre Lebensmittel warten, sind im Rentenalter. „Ich beziehe nur eine kleine Rente“, sagt eine Frau. Die liege nur wenige Euro über dem Betrag der Grundsicherung. „Nach 40 Jahren Arbeit hätte ich das nicht für möglich gehalten.“ Die Tafel helfe ihr beim täglichen Überleben, trotzdem koste es Überwindung, das Angebot wahrzunehmen. „Noch schlimmer war es aber, zum Arbeitsamt zu gehen“, sagt sie. Der Umgang dort sei würdelos und erniedrigend.

„Beim ersten Mal habe ich geweint wie ein Schlosshund“, sagt eine Frau, die neben ihr auf der Kirchenbank wartet. Auch sie bezieht Rente. Die sei zu gering, um auskömmlich zu leben. Eine dritte Frau bezieht Hartz IV und wartet auf den Bescheid ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente. „Wie Bettler stehen wir hier vor der Tür“, sagt sie. „Es kostet enorm viel Überwindung.“ Kai-Gerrit Bädje bestätigt das Bild aus der Sylvestrikirche. „Der Anteil der Rentner steigt.“ Auch mit der Kritik an den Tafeln hat sich Bädje auseinandergesetzt. Diese würden die Armut in Deutschland zementieren und den Abbau des Sozialstaats durch die Etablierung eines Almosen-Systems unterstützen. Kritik kommt sogar von Trägern selbst, etwa der Caritas. „Wir wären froh, bräuchten wir keine Tafeln mehr“, sagt Bädje. „Ein Teil der Gesellschaft ist in der Tat abgehängt.“

Die Harzer Tafel hat mit den Jahren ein ausgeklügeltes Beschaffungssystem entwickelt. Jeden Tag fährt ein Transporter Geschäfte im Landkreis ab und sammelt Lebensmittel ein. Mit dabei sind die meisten Supermarkt- und Discounterketten. Abgegeben werden dabei unverkäufliche Waren.

In der Sakristei stehen zum Beispiel Kisten mit Erdbeeren, in denen einzelne Beeren eingedrückt sind oder bereits schimmelige Stellen haben. Der Rest ist aber intakt. Auch beschädigte Verpackungen oder ein angeschlagener Apfel in einem ansonsten intakten Zwei-Kilo-Beutel landen bei der Tafel. Trotzdem, so Bädje, setzen einige Händler weiterhin auf das Wegwerfen dieser Lebensmittel.