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Bürgerfrühstück Identitäre spenden für Demokratie

Die Identitäre Bewegung hat sich unter die Teilnehmer des Bürgerfrühstücks gemischt. Ihre Spende kommt Demokratieprojekten zugute.

Von Julia Bruns 01.06.2016, 01:01

Wernigerode l In schwarze Kapuzenpullover gehüllt sitzen die Mitglieder an ihrer Tafel. Eine schwarze Fahne mit dem gelben Zeichen ihrer Vereinigung haben sie deutlich sichtbar auf dem Tisch platziert. Auffällig ist, dass die Plätze rund um die Gruppe verhältnismäßig leer sind: Die Identitäre Bewegung hat sich am Sonntag bei „Der Harzkreis bruncht“ unter das Volk gemischt.

André Weber hat die Reservierungen im Auftrag des Kinderschutzbundes koordiniert und den Tischplan aufgestellt. Angemeldet hatten sich Vertreter des Harzer Ablegers lediglich unter dem Namen einer Privatperson, sagt Weber (CDU) auf Volksstimme-Nachfrage. „Das war Michele Kurth – ein Frauenname, hinter dem ich nichts vermutete.“

Zwar habe er kurz vor dem Bürgerbrunch noch ein Gespräch mit dem Sekretariat des Oberbürgermeisters über eine eventuelle Teilnahme der Identitären geführt. „Ich habe aber daraufhin die fragliche Überweisung noch einmal überprüft und festgestellt, dass der Spendenbetrag von einem Privatkonto überwiesen wurde. Nichts deutete auf die Bewegung hin“, so Weber. Vereine und Parteien würden sich grundsätzlich bei Anmeldung und Bezahlung als solche zu erkennen geben.

Für den Fall der Fälle vereinbarte Weber mit seinen Mitstreitern im Kinderschutzbund, man wolle abwarten, wie die Gruppe auftritt. „Wir waren uns einig, dass wir von unserem Hausrecht Gebrauch machen, sollten sie sich daneben benehmen.“

Als er Mitglieder der Bewegung am Sonntag dann tatsächlich an einem der Tische sitzen sieht, sei es ihm zwar „unangenehm“ gewesen, aber, so Weber, „sie haben niemanden belästigt.“ Die Anwesenheit der Gruppe, die der Verfassungsschutz ins rechte Milieu einordnet, habe jedoch an vielen Tischen für Unmut gesorgt.

Bei der nächsten Ausgabe wolle er stärker darauf achten, wer sich anmeldet. Es seien immer wieder neue Teilnehmer dabei. „Und das ist erwünscht. Wir wollen niemanden, der uns noch nicht bekannt ist, unter den Generalverdacht stellen, einer rechten Organisation anzugehören“, sagt Weber. Der Überprüfung seien Grenzen gesetzt. „Wir können nicht Lebenslauf und Passbild anfordern.“

Oberbürgermeister Peter Gaffert (parteilos) hatte die Veranstaltung „Der Harzkreis bruncht“ in seiner Rede ganz bewusst unter das Motto der Weltoffenheit gestellt. Zuspruch fand das bei dem Wernigeröder Stadtratsmitglied Tobias Kascha. „Die Botschaft, dass Wernigerode eine weltoffene Stadt ist, wird durch das Bürgerfrühstück passend unterstrichen“, kommentierte der SPD-Politiker einen Volksstimme-Artikel auf Facebook. „Schade nur, dass die alles andere als tolerante Identitäre Bewegung ebenso mit ‚am Tisch‘ saß, obwohl es vorher Hinweise an die Veranstalter gab. Das passt so gar nicht zum Anlass.“

Maik König, der das Bürgerfrühstück ins Leben gerufen und viele Jahre organisiert hat, kann die Bredouille des Kinderschutzbundes nachvollziehen. Nicht immer könne geprüft werden, wer an welchem Tisch speist. So hatte sich vor einigen Jahren ein rechter Politiker unter einem Pseudonym angemeldet und mit rechten Gesinnungsgenossen am Bürgerbrunch teilgenommen.

Für André Weber steht nach wie vor der gute Zweck im Mittelpunkt. „Das Geld, das wir eingenommen haben, wird in Schulprojekte zur Demokratieförderung und gegen Diskriminierung investiert“, sagt er. Ironischerweise komme die Tischmiete der fremdenfeindlichen Bewegung damit diesen Projekten zugute.

Das freut vor allem Peter Lehmann vom Bürgerbündnis für Weltoffenheit und Demokratie in Wernigerode. Den Identitären die Teilnahme zu verweigern, hält er für unklug. „Das Bürgerfrühstück steht jedem offen“, sagt der Pfarrer im Ruhestand. „Sinnvoll ist es, sich konkret während der Veranstaltung mit ihnen auseinander zu setzen und ganz klar Stellung zu beziehen: Wir sind eine weltoffene und eine tolerante Stadt und wir lehnen braunes Gedankengut ab.“

Mit ihrer sonntäglichen Grablichterkundgebung hatte die Identitäre Bewegung Harz über Monate gegen den Zuzug von Flüchtlingen in Wernigerodes Innenstadt demonstriert. Das Bürgerbündnis für Weltoffenheit und Demokratie hatte gemeinsam mit einer engagierten Bürgerschaft zeitgleich für Toleranz geworben und der Bewegung demonstrativ die Stirn geboten. Am 1. Mai fand die vorläufig letzte Veranstaltung der Organisation, die als Kennzeichen ein gelb-schwarzes Logo mit dem stilisierten griechischen Buchstaben Lambda verwendet, auf dem Markt statt.

Auf Facebook wurden im April neue „kreative Aktionen“ angekündigt – darunter könnte der Bürgerbrunch fallen. Der Verfassungsschutz sieht in der islam- und fremdenfeindlichen Stoßrichtung Schnittmengen zum klassischen Rechtsextremismus – allerdings sei die Rhetorik deutlich intellektueller.