Milchtankstelle Ganz frisch von der Kuh

In Wernigerode ist die erste Milchtankstelle im Harz in Betrieb. Die Idee ist aus der Not geboren und trägt prompt Früchte.

Von Regina Urbat 04.03.2017, 08:40

Wernigerode l Frischer geht es nicht, sagt Dorothea Pohl und nimmt eine Glasflasche aus einem Automaten. „Leider habe ich meine alte Milchkanne jetzt im Garten stehen und sie mit Blumen bepflanzt. Denn hier könnte ich sie gut gebrauchen“, fügt die Rentnerin aus Wernigerode hinzu und füllt sich Milch in die Flasche. Sie ist eine von zahlreichen Kunden, die im E-Center in Wernigerode die erste Milchtankstelle im Harz nutzen.

In dem Supermarkt im Harzpark an der Halberstädter Straße ist zwar der Standort, doch der Eigentümer kommt aus der Nachbarschaft – es ist die Agrargenossenschaft Vorharz Silstedt-Benzingerode. Hier wurde die Idee geboren, „aus der Not heraus“, wie Jörg Weidemann, Chef des Landwirtschaftsbetriebes, sagt. „Als 2015/16 der Milchpreis in den Keller gesunken war, wir bei 22 Cent pro Liter vor der Frage standen, wie weiter, um unsere 26 Mitarbeiter in Lohn und Brot zu halten, musste gute Rat her.“ Unumwunden gibt Jörg Weidemann im Gespräch mit der Volksstimme zu, damals vor dem Aus gestanden zu haben.

Er habe sich dann an einen Berufskollegen erinnert, der in Halle an der Saale eine Milchtankstelle betreibt. Dieses Modell, dass in Italien und Österreich längst Fuß gefasst hat, sollte die Rettung werden. Akribisch entwarf Jörg Weidemann mit Jens Friedrich und anderen Mitstreitern im Betrieb in Silstedt ein Konzept für den Harz. Eine sechsstellige Summe wurde investiert. Die Milchküche musste komplett umgebaut werden. Zusätzlich wurden ein Lagertank aufgestellt, ein Pasteur-Gerät und Flaschen gekauft und eine Spülstation eingerichtet. Neu ist auch ein Lkw, der mit seiner Aufschrift „Milch-Taxi“ auffällt. Investiert wurde ebenso in das Herzstück der Milchtankstelle – den Automaten. „Ein dreiviertel Jahr hat die Vorbereitung mindestens gedauert“, sagt der 40-Jährige Ideengeber. Für den Start fand er in Edeka sofort einen Partner, zumal sich das Unternehmen die Vermarktung von regionalen Produkten auf die Fahne geschrieben hat.

Vor gut drei Wochen dann die Premiere in Wernigerode. Berührungsängste gab es nicht. „Im Gegenteil, die Schlangen von Kunden rissen gar nicht ab“, sagt Jens Friedrich. Er ist bei der Agrargenossenschaft nun für die Direktvermarktung der Automaten-Milch verantwortlich und stand die ersten Tage den Kunden mit Rat und Tat zur Seite. „Der Milch- und Flaschenautomat war vielen zuerst etwas ungewohnt.“ Doch eine Bedienungsanleitung sei angebracht und half. „Außerdem läuft auf einem kleinen Monitor ein Film, wie alles gehandhabt wird“, sagt Jens Friedrich.

Vielfach wird er von Kunden gefragt worden, ob es sich um Bio-Milch handelt. Friedrich verneint und erklärt: Es ist konventionelle Milch, also GOV-frei, was soviel heißt, dass die Kühe kein genverändertes Futter erhalten. „Und die Milch ist frisch, sie stammt stets vom Vorabend.“ In Silstedt wird sie pasteurisiert und am Morgen per Lkw nach Wernigerode gebracht.

Im Automaten befindet sich die Milch in zwei Abfülltanks mit einem Fassungsvermögen von je 200 Liter. „Pasteurisiert bedeutet, dass die Rohmilch für 20 Sekunden auf 72,5 Grad erhitzt und dann wieder auf vier bis fünf Grad abgekühlt wird“, erklärt der Fachmann weiter. Bei diesem Verfahren werden Keime abgetötet, die wichtigen Bestandteile wie Vitamine, Mineralstoffe, Fett sowie Eiweiß bleiben jedoch erhalten. „Es ist dann so, als wenn die Mich frisch von der Kuh kommt.“

Jeder Kunde kann zum Abfüllen ein Gefäß mitbringen. Friedrich: „Jemand hatte sogar die gute alte Milchkanne dabei.“ Ansonsten steht ein Automat mit Flaschen für je 80 Cent zur Verfügung. Auch Verschlusskappen aus Aluminium sind vorhanden. Die Ein-Liter-Flaschen können zu Hause leicht gereinigt werden. Der Nebenautomat enthält die Milch. Der halbe Liter kostet 70 Cent, ein Liter 1,30 Euro. Die Milch ist sechs Tage haltbar, und es wird ein Mindestfettgehalt von 3,8 Prozent garantiert. Und sollte am Abend noch Milch in einem Tank vorhanden sein, „wird sie nicht weggekippt, sondern dem Futter unserer Kälber beigemischt“, ergänzt Jörg Weidemann.

Die Kundschaft zeigt sich sehr angetan. „Man schmeckt einfach die Frische. Ich trinke jeden Tag meine Milch und habe sie schon öfter hier gekauft“, schwärmt zum Beispiel die Silstedterin Rosita Mänz. Bodo Fischer aus Wernigerode sagt: „Der Automat ist unkompliziert, und an der Milch mag ich den Fettgehalt. Außerdem kommt sie aus unserer Region.“ Auch Wolfgang Fischer aus Wernigerode lobt die Frische des Produktes. Maxe Mänz sagt: „Ich komme extra aus Ilsenburg hierher. Doch der Weg lohnt sich. Es sind viele Vitamine drin.“

Und für Jörg Weidemann und Jens Friedrich „ist noch mehr drin“, wie sie sagen. Nach dem erfolgreichen Start planen sie, weitere Milchtankstellen im Harz aufzustellen. Einen weiteren Automaten hatte die Agrargenossenschaft bereits bestellt, „weil wir vom Konzept überzeugt ist“, so Weidemann. Der Automat befinde sich gerade beim Bekleben und werde voraussichtlich in der nächsten Woche in Betrieb gehen. Zudem seien drei weitere Standorte mit festen Zusagen der Märkte gesichert - in Halberstadt, Quedlinburg und Goslar.

Letztendlich, resümiert Jörg Weidemann sichtlich erfreut, „hat sich unserer erstes Risiko gelohnt.“ Dafür danke er den bisherigen Kunden und wünsche für die Zukunft „noch viele weitere mehr“. Die Milchtankstelle sei dennoch nur ein kleiner Baustein, denn pro Tag werden in der Agrargenossenschaft Vorharz insgesamt rund 7000 Liter Milch gemolken. Deshalb sei das Geschäft mit einer Molkerei als Hauptabnehmer, unerlässlich.