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Asylbewerber Reges Interesse an 60 Flüchtlingen

270 bis 280 Geflüchtete soll Wernigerode ab 2016 aufnehmen. Auf einer Anwohnerversammlung wurde darüber informiert.

Von Jörn Wegner 11.11.2015, 16:35

Wernigerode l „Ich würde meinem Sohn auch sagen: ‚Sieh zu, dass es dir besser geht‘“, sagt Dietmar Schellbach. Der Leiter des Polizeireviers Harz steht am Dienstagabend vor gut 200 Menschen, die sich in der Aula des Stadtfeld-Gymnasiums versammelt haben. Der Platz ist kaum ausreichend, viele stehen im Eingangsbereich des Saals. Thema der Bürgerversammlung ist die Einrichtung einer Unterkunft für Asylbewerber im nahen ehemaligen Lehrlingsheim an der Kohlgartenstraße in Wernigerode.

Schellbach war zu der Veranstaltung eingeladen, um über Kriminalität und deren Bekämpfung zu sprechen. Ängste gibt es viele, das machen die Wortmeldungen deutlich. Die einen fürchten Übergriffe auf die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft, die anderen Straftaten der Asylbewerber. Schellbach verweist auf die Kriminalitätsstatistik im Landkreis Harz. Mit dem drastischen Anstieg der Flüchtlinge sei kein signifikanter Anstieg der Straftaten zu verzeichnen, sagt der Polizeichef, mit Ausnahme eines Tatbestands: illegale Einreise. Schellbach geht auch auf Falschmeldungen und Gerüchte ein, die vor allem über das Online-Netzwerk Facebook verbreitet werden. Dort wird etwa behauptet, dass ein Supermarkt in Halberstadt wegen Diebstählen schließen müsse, dass diese Diebstähle aber nicht zur Anzeige gebracht werden dürften. Und weiter: Asylbewerber hätten im Tiergarten Halberstadt Ziegen gestohlen und geschlachtet. Alles falsch, sagt Schellbach, auch wenn Zwischenrufe deutlich machen, dass einige die Ziegengeschichte doch glauben. „Es sind einfach mehr Menschen unterwegs, und zwar mehr Menschen, die anders aussehen“, sagt Schellbach.

Mehr Menschen werden es im kommenden Jahr auch in Wernigerode. 270 bis 280 Geflüchtete werde die Stadt nach derzeitigen Planungen aufnehmen, sagt Oberbürgermeister Peter Gaffert. Im Lehrlingsheim sollen vorerst 60 von ihnen unterkommen.

Das parteilose Stadtoberhaupt setzt die Zahlen ins Verhältnis: „Das ist etwa die Zahl, die Wernigerode in zwei Jahren an Einwohnern verliert.“ Die 800 000 Menschen, die bislang nach Deutschland geflüchtet sind, entsprächen dem Bevölkerungsverlust Sachsen-Anhalts seit der Wende. „Es geht um Integration und eine Willkommenskultur“, sagt Gaffert. Er rufe dazu auf, „zu helfen und nicht zuzulassen, dass die Stimmung kippt.“

Überall sei derzeit von Flüchtlingen zu hören, sagt Gaffert. „Und in Wernigerode ist kein Flüchtling zu sehen.“ Hintergrund ist, dass durch die Erstaufnahmestelle des Landes in Halberstadt bislang keine Geflüchteten im Harzkreis aufgenommen werden mussten. Das wird sich 2016 ändern, und dass Wernigerode damit vor Problemen steht, machen sowohl Gaffert als auch Sozialdezernent Andreas Heinrich deutlich. Anders als in anderen Kleinstädten Ostdeutschlands gibt es in Wernigerode nur geringen Wohnungsleerstand. Das Lehrlingsheim sei daher die bislang einzige Unterkunft, auf die schnell zurückgegriffen werden könne. Einziehen sollen dort Asylbewerber, deren Antrag noch nicht bearbeitet wurde.

Dafür muss das Gebäude allerdings saniert werden. „Die Kosten dafür stehen noch nicht fest“, antwortet Andreas Heinrich auf eine diesbezügliche Frage. Die Angebote würden noch eingehen. Danach werde das ehemalige Heim aber für Einnahmen sorgen, da der Landkreis an die Stadt die Miete überweist. Wohnen werden die Asylsuchenden in Zweibettzimmern mit Selbstversorgerküchen. „Eine gute Unterbringung für die Zeit der Entscheidung der Asylverfahren“, sagt Heinrich.

Vieles andere wollen die Gäste in der Aula wissen, zum Beispiel, was mit unbegleiteten Minderjährigen geschieht. Die werden nun nicht mehr bundesweit zentral in Hamburg und München betreut. „Freie Träger sind angefragt“, sagt Heinrich. Einige unbegleitete Kinder leben derweil schon in einem Heim in Wernigerode.

Eine Wernigeröderin möchte wissen, ob internationale Klassen geplant sind. „Kinder haben keine Probleme, die werden sich ganz schnell anfreunden“, sagt sie. Wegen der geringen Zahl an Flüchtlingen seien für Wernigerode nur Sprachgruppen geplant, sagt Andreas Heinrich. Involviert seien dabei die Grund- und Berufsschule im Stadtfeld.

Doch wo sich Kinder anfreunden, haben viele Erwachsene ihre Schwierigkeiten. Dietmar Schellbach warnt vor ausländerfeindlichen Übergriffen, schon eine Einzeltat würde sich auf lange Zeit mit dem Ruf eines Ortes verbinden. „Das bleibt an der Stadt hängen wie Pech“, sagt der Polizeichef. Ob seine Erklärungen bei allen ankommen, bleibt fraglich, Zwischenrufe machen dies deutlich. Am Ende der Versammlung werden vor der Schule Flyer verteilt, auf denen die rechtsextreme Verschwörungstheorie vom Austausch der deutschen Bevölkerung durch Flüchtlinge verbreitet wird.