1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wernigerode
  6. >
  7. Wolf ist im Harz angekommen

Auf der Jagd Wolf ist im Harz angekommen

Eine außergewöhnliche Aufnahme ist einem Jäger bei Benneckenstein gelungen: Holger Grüning fotografierte vermutlich einen Wolf.

Von Julia Bruns 06.10.2017, 01:01

Benneckenstein l Es ist der Morgen des 3. Oktober, Tag der Deutschen Einheit, um 7.10 Uhr, etwa einen Kilometer von Benneckenstein entfernt, Richtung Rothesütte. Es hat bis kurz vor 7 Uhr geregnet, die Luft ist kalt und feucht. Holger Grüning sitzt auf seinem Hochsitz ganz in der Nähe des Dreiländerecks, der Blick in den Wald gerichtet. „Doch an diesem Morgen ließ sich kein Rehwild blicken“, berichtet der Mediziner, der seit 30 Jahren zur Jagd geht, seit drei Jahren in dem Gebiet im Dreiländereck. „Stattdessen saß zwischen den Fichten ein Wolf.“ Der Wernigeröder nimmt seine Kamera und fotografiert das Tier. Der Volksstimme liegen dieses und ein weiteres Foto vor.

„Der Wolf ist im Harz angekommen,“ ist Holger Piegert überzeugt. Dem Kreisjägermeister zufolge gab es seit diesem Mai mehrere Wolfssichtungen, unter anderem bei Siptenfelde, bei Stiege, bei Allrode und in Richtung Ilfeld. „Wir gehen davon aus, dass es sich bei all diesen Tieren um ein- bis anderthalbjährige Jungtiere handelt, die ihre Rudel in der Altmark und an der Elbe verlassen, um eigene Rudel zu gründen“, sagt er.

Diese Vermutung teilt Ole Anders. Er ist Luchs- und auch Wolfsbeauftragter im Nationalpark Harz. Bisher beschränkt sich die Arbeit als Wolfsbeauftragter noch auf das Sichten von Fotografien, die vermeintliche Wölfe zeigen. „Eine Hand voll sicherer Nachweise gibt es mittlerweile im Harz“, sagt er im Gespräch mit der Volksstimme. Es sei in der Tat möglich, ihn zu sichten, gleichwohl habe der Wolf den Harz noch nicht endgültig als Territorium für sich entdeckt. „Es handelt sich wahrscheinlich um noch nicht sesshaft gewordene Jungwölfe“, vermutet Ole Anders, der auch im Landkreis Goslar als Wolfsbeauftragter tätig ist.

Recht häufig habe er es mit Fälschungen zu tun. „Jeden Monat schauen wir uns ein Foto an, das nachweislich montiert wurde“, sagt er. Dahinter stehe vermutlich der Wunsch nach Aufmerksamkeit. Bei dem Foto vom 3. Oktober handele es sich um keine Fälschung. „Allerdings kann ich mich aufgrund des Bildausschnitts nicht festlegen“, so Ole Anders. „Das, was man auf dem Bild sieht, schließt nicht aus, dass es sich um einen Wolf handelt. Aber man sieht nur den Kopf, nicht den Rest des Tieres. Das reicht mir nicht aus, um zu bestätigen, dass es sich tatsächlich um einen Wolf handelt.“

Ähnlich reagiert Holger Piegert. „Leider gibt das Bild keinen Anhalt über die Größe des Tieres“, so der Forstingenieur. Der Kopf sei allerdings sehr wolfstypisch. „Die kleinen, weit außen angesetzten und stark behaarten Ohren sind wolfstypisch.“ Auch der breite Schädel und die Schädelfarbe und -zeichnung sprächen für einen Wolf. „Das letzte Wort dazu sollte allerdings den Leuten aus dem Wolfskompetenzzentrum vorbehalten bleiben“, so Piegert. „Da wir in den letzten Monaten und verstärkt in den letzten Wochen mehrere Wolfsbeobachtungen im Harz hatten, ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass es sich auch hier um einen Wolf handelt.“

„Nach Standardkriterien können wir das nicht eindeutig als Wolf einordnen“, sagt die Biologin Antje Weber vom Wolfkompetenzzentrum in Iden. „Der Wolf stellt zwei Bedingungen an ein Territorium: Beuteverfügbarkeit und Rückzugsgebiete“, erläutert sie. Beides sei im Harz ausreichend vorhanden. Sie weiß bisher von keinem Rudel, das sich im Harz angesiedelt hat. „Im Alter von acht Monaten bis drei Jahren gehen Wölfe auf Wanderschaft“, sagt sie. „Zwei Wölfe müssen sich finden und sich für eine Region entscheiden, dann das Territorium verteidigen. Erst im Jahr darauf bekommen sie Jungtiere.“ Wie lange dieser Prozess dauere, könne sie nicht sagen. Fehe und Rüde bleiben gewöhnlich ein Leben lang zusammen, Partnerwechsel sind extrem selten. „Es handelt sich um hochkomplexe Sozialgefüge“, so Antje Weber. Etwa 250 bis 350 Quadratkilometer groß ist ein Rudelterritorium. Das entspricht der Größe des Nationalparks Harz (247 km²). Pro Nacht streife ein Wolf bis zu 80 Kilometer umher. Künstliche Ansiedlungen wie beim Luchs seien ausgeschlossen. „Der Wolf soll es schaffen, sein ehemaliges Territorium wieder zu besiedeln“, sagt sie.

13 Rudel leben Kreisjägermeister Holger Piegert zufolge in Sachsen-Anhalt. „Begegnungen sind noch selten, aber in den Gebieten, in denen der Wolf sesshaft geworden ist, verliert er zunehmend an Scheu.“ Es sei nicht außergewöhnlich, dass Wölfe sich in der Nähe von Ortschaften aufhalten. „Dort kommen sie leichter an Beute“, so Piegert.

Ole Anders beschreibt den Wolf als extrem lernfähig. „Und das ist sicherlich ein Teil des Problems“, sagt er. „Wölfe haben beispielsweise bei Cuxhaven gelernt, Rinder zu attackieren.“ Deshalb sei der Wolf belastend für Weidetierhalter, sagt Holger Piegert. „Gerade Rinderhalter sind sehr besorgt. Um die großen Weidegebiete der Rinderherden zu schützen, gibt es noch kein Rezept“, so der Forstingenieur. Bei Schafherden nutze man Elektrozäune und Schutzhunde. Für Wanderer seien seiner Meinung nach Wölfe keine Gefahr. „Hundehalter sollten ihre Hunde immer an der Leine führen, da sie potenzielle Rivalen für den Wolf sind, und er daher aggressiv reagieren kann“, so Piegert.

Auch in der Jägerschaft sehe man den Wolf kritisch, sagt Holger Piegert. Schon die etwa 80 Luchse im Harz hätten den Bestand an Mufflons in den vergangenen 17 Jahren halbiert. 80 Stück Wild reißt ein Luchs im Jahr. Die Jägerschaft reagiere auf die sinkenden Wildbestände mit Enthaltsamkeit. „Wir schießen kein weibliches Wild“, so der Kreisjägermeister. Und Rehwild werde generell kaum noch bejagt. „Werden Wolfsrudel im Harz sesshaft, wird der Bestand weiter schrumpfen“, sagt der 64-Jährige.

Ole Anders befürchtet eine deutlich irrationalere Debatte um den Wolf verglichen mit der um den Luchs im Harz. „Die Emotionalität und die Heftigkeit in der Diskussion um den Wolf sind enorm, da verschiedene Ängste mit dieser Tierart in Verbindung gebracht werden“, sagt er. Der Wolf sei von vornherein negativ belastet. „Wir bekommen schon als Kinder ein Schwarz-Weiß-Bild vermittelt.“

In Wernigerode wurde bereits im Februar ein wolfsähnliches Tier gesichtet. Die vermeintliche Wolfssichtung stellte sich jedoch später als Tschechoslowakischer Wolfhund heraus.