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Bäckerei schließt Letztes Brot nach 80 Jahren

In Veckenstedt schließt die Landbäckerei Brasche nach 80 Jahren. Das Ehepaar Brasche öffnet am Freitag ein letztes Mal.

Von Jörg Niemann 22.12.2016, 18:56

Ilsenburg l Eine gewaltige Portion Wehmut schwingt mit, wenn am Freitag im Backofen von Wolfgang-Rüdiger Brasche die Temperatur auf den Nullpunkt sinkt. Die letzten Brote sind in der Nacht gebacken worden, die letzten Brötchen und der letzte Kuchen in den frühen Morgenstunden. Nach gut 80 Jahren im Familienbesitz endet die Tradition der Bäckerei Brasche einen Tag vor Heiligabend in der zweiten Generation. Eine innerfamiliäre Nachfolge gibt es nicht. Tochter Jane habe laut ihrer Mutter kurz überlegt, sich dann doch dafür entschieden, ihre Arbeit in der Praxis eines Arztes in Wernigerode weiter auszuüben.

„All die Jahre in der Backstube und hinter dem Verkaufstresen haben ihren Tribut gefordert“, sagt Regina Brasche. Das Ehepaar hat mit der Gesundheit zu kämpfen. Obwohl sie ein tolles Team waren und ihren Beruf als Berufung verstanden und viel Liebe ausführten - jetzt ist Schluss.

Gegründet worden ist die Familientradition von Wolfgang-Rüdigers Vater Friedrich. Er ging 1926 bei Bäcker Kelber in Ilsenburg in die Lehre. 1931 beendete er die Konditorenschule in Wolfenbüttel mit einem Meistertitel und war bis 1936 als Bäcker und Konditor in verschiedenen Betrieben in Braunschweig tätig. Ende 1936 übernahm er die Bäckerei von der Gemeinde Veckenstedt und schloss einen Pachtvertrag bis 1943 ab. Dann kam der Zweite Weltkrieg und Friedrich Brasche musste die Backstube mit dem Feldbett tauschen. Er überlebte, blieb aber bis 1949 in russischer Gefangenschaft. Nach seiner Rückkehr nach Veckenstedt kaufte er die zuvor gepachtete Bäckerei und begann von neuem.

Sein Sohn Wolfgang-Rüdiger trat später in Vaters Fußstapfen. Von 1969 bis 1971 erlernte er den Konditorenberuf beim VEB Backwaren Wernigerode und kehrte 1971 in Vaters Bäckerei zurück. Friedrich Brasche verstarb 1987, sein Sohn übernahm das Geschäft ein Jahr später. Kurz darauf folgte die Marktwirtschaft. 1992 wurde der Verkaufsraum umgebaut. Der alte Backofen blieb, er existiert seit der Firmengründung im Jahr 1936. Er musste sich in all den Jahren nur diversen Reparaturen unterziehen.

Seit dem Frühjahr 2016 steht der Schließungstermin der Bäckerei Brasche mehr oder minder fest. „Wir hätten die Bäckerei auch noch einen Tag länger auflassen können, aber dann wäre es ein sehr trauriger und tränenreicher Heiligabend geworden“, sagt Regina Brasche, seit Jahrzehnten für den Verkauf und die Bestellannahme zuständig. Sie hat sich vorab schon auf einen sehr tränenreichen letzten Arbeitstag eingestellt. „Es wurde schon im Vorfeld von Tag zu Tag schlimmer“, bekennt sie und kämpft mit den Tränen.

Die ersten Abschiedsgrüße gab es schon vor einigen Tagen. Da rückten Kindergartenkinder und Grundschüler zum Singen an, denn die Jüngsten des Ortes waren bei Brasches gern gesehen. Eine Dose mit Bonbons oder Gummitieren stand immer parat.

Gekommen war ebenso langjährige treue Kundschaft. So gab es in den letzten Tagen eine Art von „Hamsterkäufen“. „Am Dienstag waren die Brötchen schon um 9 Uhr alle weg, obwohl die gleiche Menge sonst bis zum Ladenschluss um 17 Uhr reicht“, berichtet Regina Brasche. Und auch am Freitag rechnet sie mit viel Betrieb - wenngleich nicht nur wegen des Verkaufs.

Die Nordharzer Verwaltung muss sich etwas einfallen lassen. Haus an Haus mit der Bäckersfamilie gelegen, war es eine gute Tradition, dass am Dienstag - dem langen Behördentag - zur Kaffeepause frische Schnecken von Brasches auf den Tisch kamen. So auch am letzten Dienstag. Vize-Bürgermeisterin Christine Bürger hatte die letzten 20 Stück den Mitarbeitern gesponsert. „Uns wird das frische Gebäck von Brasches fehlen“, so die zweite Chefin im Veckenstdter Amt.