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Bauprojekt Wirtschaft und Wohnen im Konflikt

Sind Industriebetriebe und Wohnblöcke miteinander verträglich? Der Wernigeröder Bauausschuss hat diese Frage diskutiert.

Von Julia Bruns 15.06.2016, 01:01

Wernigerode l Schwächt der Wohnungsbau nahe eines angestammten Unternehmenssitzes den Wirtschaftsstandort Wernigerode? Diese schwierige Frage haben sich die Mitglieder des Wernigeröder Bauausschusses am Montagabend gestellt – und nur schweren Herzens beantworten können.

Thema der Sitzung war der Bebauungsplan von Stratie Im Langen Schlage. Der Entwurf war eigentlich im verkürzten Verfahren eingebracht worden – die erste Einreichung liegt mittlerweile knapp zwei Jahre zurück. „Wir sehen, dass auch ein beschleunigtes Verfahren viel Zeit in Anspruch nehmen kann“, sagte Hans-Dieter Nadler, Chef des Wernigeröder Planungsamtes, zum Auftakt.

Es ist bereits der dritte Entwurf, der dem Bauausschuss für das Projekt des Blankenburger Unternehmens vorgelegt wird. Erst waren die beiden Wohnblöcke um zwölf Meter in südöstliche Richtung versetzt worden. Dann wurden Fenster umgeplant, Schlaf- und Ruheräume verlegt und Stellplätze verschoben. Zuletzt hatte das beauftragte Wernigeröder Architekturbüro Planungsring eine Lärmschutzwand mit beachtlichen Ausmaßen in seine Pläne eingefügt. Die sieben Meter hohe und 35 Meter lange Wand ist drei Meter hinter der Grundstücksgrenze vorgesehen. Zudem wurde die Nutzung der Gebäude angepasst: In die ursprünglich reinen Wohnhäuser wurden Büroeinheiten integriert, die anderen Lärmschutzanforderungen genügen müssen.

Grund der zahlreichen Änderungen ist die Nähe zu Pharma Wernigerode. Der Arzneimittelhersteller hatte von Anfang an Bedenken wegen des Projektes in dem sogenannten Mischgebiet, das sich zwischen Dornbergsweg und Charlottenlust befindet. So befürchtet Betriebsleiter Peter Zimmereimer, dass sich die neuen Nachbarn wegen des Lärms der Lüftungsanlagen und der Gerüche, die bei der Produktion der Pharma-Produkte entstehen, beschweren. Den Mutterkonzern Aristo könnten derlei Probleme daran hindern, weiter in den Standort Wernigerode zu investieren.

„Von Anbeginn an hatten beide Unternehmen Gutachten in Auftrag gegeben“, erinnerte Hans-Dieter Nadler die Ausschussmitglieder. „Insbesondere beim Schallschutz hatte das Landesverwaltungsamt Änderungen gefordert.“ Diese seien mit der Schallschutzwand im aktuell vorliegenden Bebauungsplan umgesetzt worden.

Der Stadtplaner verdeutlichte im Ausschuss, wie wichtig, aber auch wie schwierig es sei, die Interessen beider Unternehmen genau abzuwägen. Dies wurde in der anschließenden Debatte deutlich.

„Im Gutachten steht mehrfach, dass die Erweiterung des Industrieunternehmens erheblich eingeschränkt wird, wenn die Wohnbebauung näher an das Industriegebiet rückt“, sagte Thomas Schatz (Linke). Für ihn sei eine Entscheidung gegen das Wohnprojekt „unausweichlich“. Pharma habe mehr als 100 Mitarbeiter und der Mutterkonzern investiere aktuell in Wernigerode. Schatz: „Der Wohnungsbau ist eine Sünde am Wirtschaftsstandort Wernigerode.“

Matthias Winkelmann sagte, er habe ein Problem mit der Schallschutzwand. „Andere reißen Mauern ein, wir bauen sie wieder auf“, so der CDU-Politiker. Für ihn sei jedoch das Wohngebiet Am Ziegenberg ein Beispiel dafür, dass Wohnen und Industrie in nächster Nähe zueinander möglich sind. Unweit des Ziegenbergs, am Gießerweg, hat das Unternehmen Nemak seinen Sitz. Thomas Schatz erwiderte, dass gerade dieses Beispiel ein Beleg für die Unvereinbarkeit sei. „Am Ziegenberg wurde eine Reihe Wohnhäuser nicht zugelassen, gerade aufgrund der Geruchs- und Geräuschemissionen des Industriegebietes.“

Frank Diesener (CDU/Haus&Grund) bemängelte, dass unterstellt werde, Wohnen und Industrie seien nicht nebeneinander möglich. Genau solche Mischgebiete wie im konkreten Fall seien doch für beide Zwecke vorgesehen.

Uwe-Friedrich Albrecht (CDU/Haus&Grund) werde sich bei der anstehenden Abstimmung bewusst enthalten, kündigte er an. „Beide Firmen sind für Wernigerode wichtig“, so der Stadtratspräsident. Seinem Beispiel folgten vier weitere Ausschussmitglieder, darunter der Vorsitzende Christian Härtel (Linke). „Pharma wird durch die Wohnbebauung auf dem eigenen Grundstück eingeschränkt, spätere Erweiterungen erschwert“, gab Härtel zu Bedenken.

Mit vier Mal Ja bei fünf Enthaltungen wurde der Bebauungsplan zwar vom Ausschuss empfohlen, das letzte Wort hat jedoch der Stadtrat am 23. Juni.