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Geschichte Als das Palmenhaus zum Glaswerk wurde

An ihre Kindheit in Wernigerode erinnert sich Gerda Oppermann gerne. Ihr Vater führte im Palmenhaus einen Glasbetrieb.

Von Katrin Schröder 17.05.2017, 01:01

Wernigerode l Als wäre es gestern gewesen: Die Erinnerung an das Palmenhaus im Wernigeröder Lustgarten ist für Gerda Oppermann nach Jahrzehnten noch gegenwärtig. „Das war meine Kindheit“, sagt die 77-Jährige. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lebte sie fünf Jahre lang in Wernigerode. Im Palmenhaus betrieb ihr Vater ein Glaswerk. In der Volksstimme las sie, dass jüngst ein Cafébetreiber für frischen Wind rund um das denkmalgeschützte Gebäude sorgte. „Das hat die Erinnerungen wieder aufgewühlt“, sagt die Seniorin.

Geboren wurde sie als Gerda Huber in Haida (Nový Bor) in Nordböhmen. Als nach Kriegsende die Deutschen die wieder entstehende Tschechoslowakei verlassen mussten, kam die damals Sechsjährige 1946 in den Harz. „Unser Transport fuhr nach Wernigerode“, erinnert sich die Seniorin.

Ihr Vater Ludwig Huber war, wie viele Vertriebene aus dem Sudetenland, in der Glasindustrie beschäftigt. Der Techniker fand eine Anstellung in der Hohlglasveredelungsgenossenschaft, die in der Ilsenburger Straße ihren Sitz hatte.

Bis 1948 arbeitete Luwig Huber in der Genossenschaft, dann machte er sich selbstständig. 60 Mitarbeiter aus der Genossenschaft folgten ihm in den neuen Betrieb, für den Huber das Palmenhaus mietete. „Von der Größe her passte es genau“, erinnert sich Gerda Oppermann.

In dem historischen Gebäude wurde in den folgenden zwei Jahren Rohglas, das aus Sachsen angeliefert wurde, veredelt. Die Motive, mit denen die Glasfachleute die Gläser, Vasen und Schalen versahen, stammten zum Großteil aus ihrer früheren, nordböhmischen Heimat. „Darunter waren viele Jagdmotive, aber auch Blumen“, sagt Gerda Oppermann. Das Geschäft lief zunächst gut, denn ihr Vater sprach perfekt Tschechisch und Russisch und hatte gute Verbindungen zu den sowjetischen Besatzern.

Für Gerda Oppermann war die Zeit in Wernigerode prägend. Die Familie wohnte in der Bachstraße, das Mädchen besuchte die Schule. „Doch das Palmenhaus war unser Zuhause“, sagt sie rückblickend. Dort hatte der Krieg sichtbare Spuren hinterlassen. Das Dach und die Vorderfront waren beschädigt, im Lustgarten waren Bombentrichter zurückgeblieben. „Ich hatte eine Ziege im Keller“, berichtet Gerda Oppermann. Gerne erinnert sie sich an die Rosen im Lustgarten und an die bunten Enten, die im Brunnen schwammen. „Das war ein Spielzeug für mich.“

Die Idylle dauerte nur wenige Jahre. Zum Verhängnis wurde dem Vater, dass er sich nicht dem politischen Zeitgeist anpassen wollte. „Er sagte: Ich war während des Krieges in keiner Partei, da werde ich auch jetzt nicht eintreten“, so Gerda Oppermann. Die Materiallieferungen an den Betrieb wurden eingestellt, Ludwig Huber musste aufgeben. Im März 1950 floh er nach Westdeutschland – erst zu Verwandten nach München, dann kehrte er in den Westharz zurück, um seine Familie zu treffen. „Wir wollten im September mit meiner Mutter und meiner Schwester nachgehen“, sagt Gerda Oppermann.

Doch am Tag der geplanten Flucht erlitt die Mutter am Morgen einen Hirnschlag und starb. Sie wurde auf dem Zentralfriedhof in Hasserode beigesetzt. Mit einer Fluchthelferin gelang Gerda Oppermann und ihrer Schwester der Grenzübertritt – obwohl sie von Soldaten entdeckt wurden. „Die Russen haben in die Luft geschossen, aber nicht auf uns“, weiß sie noch. Beim bundesdeutschen Grenzschutz wurden die Kinder aufgenommen, erst nach einigen Tagen fanden sie in Goslar ihren Vater.

In der Stadt wurde Gerda Oppermann heimisch. Ihr Vater betrieb eine Gaststätte im Ortsteil Hahndorf. „Hähnchen-Huber“ war eine lokale Berühmtheit, bis der Vater 1967 verstarb. Gerda Oppermann und ihr Ehemann Herbert waren beide im Großhandel tätig. „Zwei-, dreimal waren wir drüben“, sagt sie über ihre Vorwende-Ausflüge nach Wernigerode, bei denen sie Verwandte besuchte und anderen Familienmitgliedern die Stätten ihrer Kindheit zeigte. Die Fotos von damals hat sie aufgehoben, ebenso Bilder aus den 1940er-Jahren, zum Beispiel von der Belegschaft der Glasveredelung, die sich am 1. Mai 1949 vor dem Palmenhaus aufgestellt hat.

Auch nach der Wende besuchte das Paar Wernigerode mehrmals. Gerda Oppermann fragte bei der Stadtverwaltung, wie es um die Maschinen aus dem alten Betrieb oder das Inventar der früheren Familienwohnung bestellt war. „Aber es war nichts mehr da.“ Was geblieben ist, sind Fotos, alte Zeitungsartikel und die Erinnerung an fünf prägende Jahre. Schön wäre es, wenn sie diese mit anderen teilen könnte, sagt die Seniorin. „Vielleicht meldet sich jemand, der sich ebenfalls an diese Zeit erinnert.“